Die kleine Schwester
wenn du meinst, es sei nötig. «
»Okay.« Beifus trat hinter mich. Die Schellen öffneten sich. »Dann komm mal mit, mein Freund«, sagte Beifus.
Ich starrte French ins Gesicht. Er sah mich an wie eine Tapete. Seine Augen schienen mich überhaupt nicht wahrzunehmen. Ich ging durch den Durchgang und aus dem Haus.
30
Seinen Namen habe ich nie erfahren, aber er war ziemlich kurz und dünn für einen Polypen, und ein Polyp mußte er wohl sein, einmal, weil er dort war, und dann, weil ich den Griff eines Polizeirevolvers im ledernen Unterarmhalfter sehen konnte, als er sich nach einer Karte vorbeugte. Er sprach nicht viel, aber wenn er sprach, hatte er eine hübsche Stimme, eine wasserweiche Stimme. Und er hatte ein Lächeln, das das ganze Zimmer warm machte.
»Schönes Blatt«, sagte ich und sah ihn über die Karten an.
Wir spielten eine doppelte Patience. Vielmehr er spielte. Ich war nur einfach da, sah ihm zu, sah, wie seine kleinen, zierlichen und sehr sauberen Hände sich über dem Tisch bewegten, eine Karte berührten, sie aufnahmen und anderswo ablegten. Während er so beschäftigt war, spitzte er die Lippen ein wenig und pfiff, ohne Melodie, ein weiches, dunkles Pfeifen, wie von einer sehr jungen Lokomotive, die noch etwas unsicher ist.
Er lächelte und legte eine rote Neun auf eine schwarze Zehn.
»Was machen Sie in der Freizeit?« fragte ich ihn.
»Ich spiele ziemlich viel Klavier«, sagte er. »Ich habe einen großen Steinway. Meistens Mozart und Bach. Ich bin etwas altmodisch. Die meisten Leute finden es langweilig. Ich nicht.«
»Hervorragendes Blatt«, sagte ich und legte eine Karte.
»Sie würden sich wundern, wie schwer einiges von diesem Mozart ist«, sagte er. »Es hört sich so leicht an, wenn man es gut gespielt hört.«
»Wer kann denn gut spielen?«
»Schnabel.«
»Auch Rubinstein?«
Er schüttelte den Kopf. »Zu tiefgründig. Zu gefühlig. Mozart ist nichts als Musik. Ein Kommentar ist unnötig.«
»Sie werden sicher viele Geständnisse kriegen«, sagte ich. »Gefällt Ihnen die Arbeit?«
Er bewegte wieder eine Karte und bog seine Finger ein wenig. Seine Fingernägel waren sauber und kurz. Man konnte sehen: das war jemand, der gerne die Hände bewegte, der gern einfache, unauffällige Bewegungen damit machte, Bewegungen ohne besondere Bedeutung, aber sanft, fließend und leicht wie Schwanenflaum. Das gab ihm ein Gefühl dafür, empfindliche Sachen sorgsam anzufassen, aber nicht schwach.
jawohl, Mozart. Das sah ich.
Es war etwa fünf Uhr dreißig, und der Himmel hinter dem Fenster mit Fliegennetz wurde allmählich hell. Der Rollschreibtisch in der Ecke war verschlossen. Das Zimmer war dasselbe, in dem ich einen Nachmittag vorher gewesen war. Am anderen Ende des Tisches lag der dicke Zimmermanns-Bleistift; jemand hatte ihn dorthin zurückgelegt, nachdem Leutnant Maglashan aus Bay City ihn an die Wand geworfen hatte. Der flache Schreibtisch, an dem Christy French gesessen hatte, war übersät mit Asche. Eine Motte umkreiste eine Hängelampe - so eine zum Herunterziehen, mit so einem grün-weißen Glasschirm, wie man es noch manchmal in ländlichen Hotels sieht.
»Müde?« fragte er.
»Kaputt.«
»Sie sollten sich nicht auf solche schwierigen, dunklen Geschichten einlassen. Ich kann nichts Interessantes darin sehen.«
»Nicht interessant, einen Mann zu erschießen?«
Er lächelte das warme Lächeln. »Sie haben nie jemanden erschossen.«
»Woher wissen Sie das?«
»Normaler Verstand - und viel Erfahrung, nachdem ich hier mit so vielen Leuten gesessen habe.«
»Ich glaube, die Arbeit gefällt Ihnen wirklich«, sagte ich.
»Es ist Nachtarbeit. So habe ich die Tage zum üben. Ich mache das schon zwölf Jahre so. Habe allerhand komische Typen kommen und gehen sehen.«
Er zog wieder ein As, gerade noch rechtzeitig. Wir waren fast schon steckengeblieben.
»Kriegen Sie viele Geständnisse?«
»Ich nehme keine Geständnisse ab«, sagte er. »Ich bereite nur die Stimmung vor.«
»Warum lassen Sie anderen den Rahm?«
Er lehnte sich zurück, und mit dem Rand einer Karte klopfte er leicht an den Rand des Tisches. Das Lächeln kam wieder. »Da ist kein Rahm. Wir haben Sie längst durchschaut. «
»Warum halten Sie mich dann fest?«
Er wollte keine Antwort geben. Er blickte sich um nach der Uhr an der Wand. »Ich glaube, jetzt könnten wir was zu essen kriegen.« Er stand auf und ging zur Tür. Er öffnete sie halb und sprach leise mit jemandem, der draußen war. Dann kam er
Weitere Kostenlose Bücher