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Die Klimaprioritaeten

Titel: Die Klimaprioritaeten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michael Streck
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Entwicklung in ärmeren Ländern zu fördern. Indem Industriestaaten dies tun, erhalten sie die Möglichkeit, ihre eigenen Emissionen gegen die Emissionseinsparungen von CDM-Vorhaben aufzurechnen. Die Grundidee ist eine
Winwin-Situation
: Klimaschädliche Abgase reduzieren, in
Entwicklungsländer
investieren, moderne Technik dorthin transferieren und Industrieländern ermöglichen, ihre Klimaschutzziele kostengünstiger als daheim zu erreichen – weil es aufgrund des Grenzkostenprinzips zum Beispiel für eine Firma in Europa, die bereits viel in Hightech investiert hat, enorm teuer ist, noch einen Prozentpunkt Kohlendioxid einzusparen, sie hingegen mit vergleichsweise wenig Geld größere
Emissionseinsparungen
in Afrika erzielen kann.
    Der ganzen Idee liegt folgende Logik zugrunde: Es ist egal, wo auf der Erde Treibhausgase produziert werden. Also ist es auch |154| egal, wo sie reduziert werden. Industrieländer und Unternehmen können Vorhaben finanzieren, die Emissionen verringern helfen oder die Energienachfrage senken, was verminderten Emissionen gleichkommt.
    Jede Tonne CO2, die ein CDM-Projekt vermindert, wird zertifiziert und in eine Emissionsgutschrift umgewandelt. Die Zahl der Emissionsgutschriften basiert auf der Differenz zwischen einem »Weiter-so-Szenario« und einem Alternativszenario, dem Unterschied zwischen der Menge an Treibhausgasen, die zum Beispiel ein altes Kohlekraftwerk emittiert, und der Abgasmenge, die zwei neue Wasserkraftwerke erzeugen, wenn Strom aus Wasserkraft statt Kohle ins Netz eingespeist wird. Das Kyoto-Protokoll hat strikte Kriterien und Verfahrensabläufe für CDM-Vorhaben festgelegt. Die Bedingungen: Das CDM-Kapital war ausschlaggebend für die Investitionsentscheidung, das Wasserkraftwerk zu bauen – in der UN-Sprache das
Additionalitätskriterium
und eine knifflige Sache, wie noch gezeigt wird. Das Vorhaben verringert zudem messbar Emissionen gegenüber dem Weiter-so-Szenario. Es wird in allen Phasen von unabhängigen Gutachtern überprüft, die bei der UN akkreditiert sein müssen.
    Das Geschäft mit diesen Klimaschutzprojekten boomt. Nach Angaben der Weltbank und des Branchendienstes Point Carbon hatte der Markt 2007 ein Handelsvolumen von 12 Milliarden Euro. CDM-Projekte sorgen für einen preiswerten
Technologietransfer
in Entwicklungsländer und ermöglichen, dass diese in den Klimaschutz mit einbezogen werden. Keine andere internationale Vereinbarung wie das Kyoto-Protokoll konnte bislang so viel Geld für Umweltschutzprojekte mobilisieren.
    So werden in Asien, Afrika und Lateinamerika Methangas aus Mülldeponien zur Stromerzeugung aufgefangen,
Wasserkraftwerke
gebaut und Windräder aufgestellt. Und mittlerweile |155| auch der öffentliche Nahverkehr gefördert. Die neue U-Bahn-Linie in Neu Delhi ist hierfür ein richtungsweisendes
Vorhaben, weltweit das erste Bahnprojekt, das Emissionsgutschriften erhält. Der Grund: Die Waggons sind mit einem
energiesparenden
Bremssystem ausgestattet, das jährlich 30 000 Tonnen Diesel und damit CO2-Emissionen spart. Die japanische Entwicklungsbank co-finanziert den Bau und bekommt dafür vom Betreiber Delhi Metro Rail 40 000 Emissionsgutschriften jährlich über eine Zeitraum von zehn Jahren. Wert: 3 Millionen US-Dollar.
    Planung und Ausführung von CDM-Vorhaben sind kompliziert und langwierig. Sie müssen von unabhängigen Gutachtern geprüft und zertifiziert, von den Länderregierungen und schließlich der zuständigen UN-Akkreditierungsstelle
abgesegnet werden. Die Kosten hierfür sind hoch. Also müssen genug Emissionsgutschriften anfallen, um den Aufwand zu rechtfertigen. Auch die Mathematik ist oft nicht einfach und beschäftigt Ökonomen sowie Ingenieure manchmal monatelang. Auszurechnen, wie viel Gutschriften am Ende ausgestellt werden können, erfordert das Wissen vieler unterschiedlicher technischer und ökologischer Details und Abläufe. Die Rechnung zwischen einem alten und modernen Kohlekraftwerk aufzumachen ist vergleichsweise unkompliziert. Zu ermitteln, wie viel Kohlendioxid Wälder speichern und abgeben, ist hingegen ein Alptraum.
    Kritiker sehen hier gleich mehrere Fallstricke. Die
Berechnungsmethoden
seien oft vage, geschätzte und tatsächliche Emissionen schwer zu vergleichen, das Weiter-so-Szenario ist per definitionem eine Projektion in die Zukunft und damit fiktional, und viele Vorhaben wären auch ohne den CDM umgesetzt worden. Aus Sicht von Projektentwicklern addieren sich diese Unsicherheiten zu

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