Die Klinge des Löwen 02
daumendicker Strick über den Hüften
zusammenhielt. Sein dichtes Haar war eine wallende braungelockte
Mähne, die ihm zusammen mit seinem glattrasierten kantigen
Gesicht das Aussehen eines furchtlosen Kirchenmannes verlieh, der
erfolgreich des Teufels Ränke zu durchkreuzen wußte. Es
war der Mönch Ekkehardt, der den Herzog stets zu solchen
Gerichtstagen begleitete. Er trug feierlich ein Kästchen vor
sich her, das in ein schwarzes Tuch gehüllt war. Darin befand
sich angeblich eine Reliquie des Heiligen Ulrich. Sie wurde stets
demjenigen präsentiert, der einen Eid leisten mußte. Aber
den "Blutigen Jörg" schien die damit verbundene
furchterregende Prozedur wenig zu berühren, denn er war dabei,
seine Fassung wiederzugewinnen. Vielleicht hatte er auch schon davon
gehört, was manche Lästerzungen behaupteten: daß die
sogenannte Reliquie nur ein Stückchen Hundeknochen sei und dem
Herzog dazu diente, zu vereidigende Zeugen einzuschüchtern und
von einem Meineid abzuhalten. Das waren jedoch unbewiesene
Behauptungen von Ketzern, die diese nur hinter vorgehaltener Hand zu
verbreiten wagten.
Kaltblütig
schwor Jörg Wigand kurze Zeit später auf das Kästchen
- es wurde niemals geöffnet -, daß alles so geschehen sei,
wie er berichtete. Der Ankläger zeigte eine zufriedene Miene,
während sich auf dem Gesicht Herzog Bertholds erneutes Mißtrauen
malte. Es war jedoch für die Anwesenden nicht ersichtlich, ob er
im Glauben an eine mögliche Unschuld der Angeklagten schwankend
geworden sei, oder an der Aussage des Zeugen zweifelte. Der Eid von
Jörg Wigand wog schwer. Sichtlich mißmutig erteilte der
Richter zunächst Dietrich das Wort zur Verteidigung, während
der Mönch Ekkehardt gemessenen Schrittes mit seinem
Reliquienkästchen die Halle wieder verließ.
Tatsächlich
gelang es Dietrich, eine Bresche in die scheinbar undurchdringliche
Mauer zu schlagen, die der Ankläger mit Hilfe des „Blutigen
Jörg“ aufgebaut hatte. Er berichtete von dem Überfall
der unter dem Befehl Jörg Wigands stehenden Räuberhorde;
von seinem Abwehrkampf auf dem Felsenplateau und von Idas heroischer
Tapferkeit, mit der sie ihm in diesem Kampf zur Seite gestanden. Daß
es zwischen ihm und der Gräfin im Vorfeld zu Zärtlichkeiten
gekommen war, verschwieg er wohlweislich. Denn mehr als ein Kuß
war es ja nicht gewesen. Er hätte ein Narr sein müssen,
wenn er wegen dieser Kleinigkeit den guten Eindruck aufs Spiel
gesetzt hätte, den sein Bericht beim Herzog, den Schöffen
und bei der übrigen Versammlung hinterließ. Und um die
Festung der Anklage vollends zu zertrümmern, ließ er die
Männer um Giselbert, die ihn aus den Klauen der Räuber
befreit hatten, als Zeugen aufmarschieren. Am Ende sah es sehr
schlecht für den Ankläger und dessen Zeugen aus.
„ Was
sagst du dazu, Schurke!“ Mit grimmiger Miene blitzte Herzog
Berthold den blaß gewordenen Jörg Wigand an. „Mir
scheint, du hast dich um Kopf und Kragen geschworen! Antworte
schnell, ehe ich dich aufs Rad spannen lasse!“
Aber
er hatte den in die Enge getriebenen Räuberhauptmann genauso
unterschätzt wie Dietrich. Jetzt, wo es um seinen Hals ging,
handelte und sprach der „Blutige Jörg“ mit eiskalter
Ruhe. Mit scheinheiliger Freundlichkeit sagte er: „Gnädiger
Herr, Ihr tut mir unrecht! Und alles nur wegen einer Kleinigkeit, die
Herr Dietrich nicht erwähnt hat!“
Er
legte eine Kunstpause ein. Seine tückischen Augen flogen über
die Versammlung, als wolle er geschwind den Eindruck seiner
geheimnisvollen Bemerkung prüfen. Das Ergebnis schien ihn zu
befriedigen, denn plötzlich umspielte ein maliziöses
Lächeln seine Lippen.
„ Ihr
werdet es kaum glauben, gnädiger Herr, aber es ist so: Herr
Dietrich vergaß zu erwähnen, daß ich ihn und seine
Gespielinnen beobachtete, lange bevor diese Männer auftauchten,
die hier eben als angebliche Zeugen aussagten. Sie können ja gar
nichts gesehen haben! Als sie kamen, war alles vorbei.“
Mit
Widerwillen im Gesicht entgegnete der Herzog: „Deine Worte
überzeugen mich nicht. Vor allen Dingen ist das keine Erklärung
für den Überfall auf die Angeklagten!“
„ Aber
gnädiger Herr! Das war kein Überfall! Wir wollten Herrn
Dietrich und seine Begleiterinnen lediglich gefangennehmen und sie
vor den Richter bringen. Das mußten wir doch tun als
gesetzestreue Bürger! Man kann doch solche Sachen nicht mit
ansehen und dann so tun, als wäre nichts geschehen. Deshalb
haben wir den Heidentempel angegriffen! Nur
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