Die Klinge des Löwen 02
Es schien ihm unvermittelt, als hätte es den hin und her
wogenden Kampf der Worte nie gegeben. Seine inzwischen aufgekeimten
Hoffnungen, gut aus der Sache herauszukommen, waren durch die
grausame Urteilsforderung des Anklägers zerschmettert worden,
wie Blüten durch einen Hagelschlag.
Wegen
dieser von Graf Urban in den Saal geschleuderten Forderung stand nun
die Todesgefahr wie eine schwarze Wand vor Ida und Dietrich. Und die
nachdenkliche Miene des Richters zeigte, daß die Argumente des
Geroldseckers auch bei ihm ernste Zweifel an der Unschuld der
Angeklagten geweckt hatten.
Herzog
Berthold wandte sich den Laienrichtern zu und gebot ihnen mit
eigenartig müder Stimme: "Es ist von den Parteien alles
gesagt, was zu sagen war. Die Schöffen mögen nun ihres
Amtes walten!"
Die
Männer, die dem Herzog die Grundlage für sein Urteil
liefern sollten, erhoben sich leise und schweigend. In
bedeutungsschwerer, feierlicher Stille zogen sie sich zur Beratung in
einen anderen Raum zurück.
Währenddessen
verharrten die Versammelten im Großen Saal der Ortenburg in
gespannter Erwartung. Ida und Dietrich wußten, daß ihr
Schicksal jetzt davon abhing, wie die zwölf Schöffen sich
entschieden und was der Herzog daraus machen würde. Für
beide wurde es ein nervenzermürbendes Warten. Ungewißheit
senkte sich wie ein lastendes Bleigewicht auf ihre Seele. Und das
Geflüster der Versammelten in der Halle kam ihnen vor wie das
Wispern von Trauerfrauen am Sarg von Verstorbenen. Und sie beide, in
der Blüte ihres Lebens schmählich angeklagt, galten den
Anwesenden wohl schon jetzt als Todgeweihte.
Allmählich
erstarben auch die Flüsterstimmen. Eine lähmende Stille
breitete sich unter den Versammelten aus. Dietrich stand nach wie vor
neben der reglos im Armsessel sitzenden Ida. Hin und wieder verlegte
er das Gewicht seines Körpers von einem Fuß auf den
anderen. Flüchtig ließ er seinen Blick über die
stumme Ritterschaft gleiten. Ob sie alle von seiner und Idas Schuld
überzeugt waren? In den steinernen Gesichtern fand er darauf
keine Antwort. Da und dort scharrte jemand mit dem Fuß.
Zahlreiche Fliegen surrten hektisch an den bleiverglasten Fenstern
auf und nieder.
Die
lange Abwesenheit der Schöffen deutete darauf hin, daß sie
zäh um einen Urteilsspruch zu ringen schienen. Die Masse der
Menschen im Saal erschien Dietrich, als brüte sie eine formlose,
aber begierige Vermutung aus. Sie können es wohl kaum erwarten,
die Todesbotschaft zu hören! ging es ihm durch den Kopf. Er
ermannte sich und straffte seine Gestalt - er würde keine
Schwäche zeigen!
Der
Nachmittag neigte sich dem Ende zu, als die Schöffen endlich den
Saal wieder betraten. Auf einen Wink des Herzogs ließ der
Haushofmeister alle Fenster öffnen. Damit sollte symbolisch dem
uralten Brauch, ein Urteil unter freiem Himmel zu fällen, Genüge
getan werden.
Herzog
Berthold wartete, bis die Männer ihre Plätze eingenommen
hatten. Schweigend ließ er seine Augen über die Schöffen
wandern, ehe er mit ernster Miene die folgenschwere Frage stellte.
„Sind die Urteilsfinder zu einer Entscheidung gekommen?“
Einer
der Männer erhob sich und trat als Wortführer einen Schritt
vor. „Nein, gnädiger Herr! Unsere Meinungen gehen
auseinander. Die Hälfte von uns ist für eine Verurteilung
der Angeklagten, die andere Hälfte plädiert auf
Freispruch.“
Herzog
Berthold nahm die Entscheidung mit einem nachdenklichen Kopfnicken
schweigend zur Kenntnis. Unter den Versammelten erhob sich nach
dieser Erklärung lautes Gemurmel. Eine Weile ließ der
herzogliche Richter der Erregung im Saal freien Lauf. In Gedanken
versunken, saß er auf seinem Stuhl und schien mit sich zu Rate
zu gehen. Endlich aber gebot er Schweigen. Er wartete, bis in der
Halle vollkommene Stille eingekehrt war. Bevor er sprach, holte er
tief Atem.
„ Als
höchster Richter der Region und damit auch des Territoriums der
Mortenau, nur Gott und meinem König verantwortlich, habe ich das
Recht und die Pflicht, folgendes festzustellen: Die anwesenden
Schöffen sind in dem hier verhandelten Fall hinsichtlich Schuld
oder Unschuld unentschiedener Meinung. Ihre Besprechung und
Beurteilung des Falles hat nicht zu einem von einer Mehrheit
getragenen Urteil geführt. Damit liegt es allein bei mir, eine
Entscheidung zu treffen."
Er
verstummte für einen Moment und räusperte sich, ehe er
fortfuhr. "Jeder hier im Saale möge jetzt aufmerksam meinen
Darlegungen folgen. Soweit ich die Ausführungen der
Weitere Kostenlose Bücher