Die Klinge des Löwen 03
der Belagerung, als man ihn
brauchte, hatte er es für eine Weile vergessen, doch jetzt, wo
es nichts zu tun gab, war er wieder voll schwerer Gedanken.
Als
in der zweiten Augusthälfte das Wetter wieder besser wurde und
die Sonne den Hochsommer zurückbrachte, trocknete der Boden
rasch ab. Aber mit der Hitze kamen auch die Slawen zurück.
Schlagartig war es vorbei mit der Bewegungsfreiheit der Burgbewohner,
vorbei mit der Ernte, die im Vormonat und nach Abzug des Feindes auf
den unversehrten Feldern eingesetzt hatte. Sie war durch die
Regenperiode unterbrochen worden und sollte in den jetzt
vorherrschenden sonnigen Tagen fortgeführt werden. Dem setzte
ein neues Belagerungsheer des Feindes ein zumindest vorläufiges
Ende.
In
aller Ruhe schlugen die Slawen in sicherer Entfernung von der Burg
ein Lager auf. Die Führung dieser Streitmacht hatte Gotvac
diesmal nicht selbst übernommen. Für seine Krieger
erstaunlich, betraute er einen Mann mit dieser Aufgabe, der
eigentlich Branka unterstand. Wie es schien, hatte er seinen ersten
Hauptmann und Stellvertreter absichtlich übergangen. Ihm grollte
der polnische Heerführer immer noch. Er hatte ihm nicht
verziehen, daß dieser sich vor rund einem Jahr mit seiner
Streitmacht eine verheerende Niederlage durch die damals noch
schlagkräftige Mortenauer Ritterschaft einhandelte. Wenigstens
vermuteten das jene Slawen, die sich ihre eigenen Gedanken darüber
machten.
Aber
das war nicht der wahre Grund, warum der Pole Brankas Stellung als
Hauptmann nicht berücksichtigte. Vielmehr sah sich Gotvac
gezwungen, für alle sichtbar ein Exempel zu statuieren, denn in
seinem Heer gärte es. Durch den Fehlschlag mit dem
Belagerungsturm waren Unsicherheit und Widerspenstigkeit in den
Reihen seiner Krieger aufgekommen. Zu allem Übel sah
ausgerechnet Branka dies als eine Gelegenheit, Gotvac bei den
Kampfgefährten zu kritisieren und gleichzeitig sein eigenes
Versagen herunterzuspielen. Er hatte begonnen, Unruhe im Heer zu
schüren, indem er des Polen Fähigkeiten als Heerführer
bei jeder sich bietenden Gelegenheit in Zweifel zog. Seine Worte
fielen bei zahlreichen Kriegsknechten auf fruchtbaren Boden. Viele
waren nach den erfolglosen Angriffen demoralisiert, und die Disziplin
begann sichtbar zu schwinden.
Diesem
Treiben, das seine Autorität in gefährlichem Ausmaß
zu untergraben drohte, setzte Gotvac ein rasches Ende, indem er für
den nächsten geplanten Angriff eben jenen Kriegsmann zu seinem
Stellvertreter ernannte, der bisher Branka unterstellt war. Seine
Absicht, den nunmehr bei ihm völlig in Ungnade gefallenen
Hauptmann ganz aus seinem Lager in Offinburc zu verbannen und in
eines der beiden Nebenlager abzuschieben, ließ er allerdings
auf Anraten Feinels fallen. Der Jude machte ihm klar, daß es
klüger sei, den Aufrührer im Auge zu behalten, weil ein
unbeaufsichtigter Branka womöglich noch mehr Unfrieden unter den
Kriegern stiften würde.
Weder
Dietrich noch die übrigen Burgherren der Mortenau ahnten etwas
von den Problemen des feindlichen Heerführers. Niemand dachte im
entferntesten daran, daß sich hier eine Möglichkeit
auftat, mit einem kurzfristig versammelten entschlossenen Ritterheer
in die verunsicherten Slawenhaufen hineinzustoßen und sie in
alle Winde zu zerstreuen.
Statt
dessen rätselte man auf der Ortenburg, was die Belagerer diesmal
vorhaben mochten. Es zeigte sich von Anfang an, daß sie ihr
Vorhaben offenbar als eine Art Volksbelustigung durchführen
wollten. Mehrere Lagerfeuer wurden entzündet; bald war auch ein
primitiver Verschlag errichtet, in dem ein Händler seine Waren
auslegte; scheinbar kauflustig, auf jeden Fall aber neugierig,
drängte sich das Kriegsvolk vor dem Verkaufsstand. Damit nicht
genug, tauchte nach einigen Tagen ein fahrender Sänger auf, der
mit zwei Musikanten die slawischen Kriegsknechte bei Laune hielt.
Dazwischen tummelte sich niederes heimatloses Volk, das solche Heere
immer im Schlepptau hatten.
Aber
schon bald sollten die Menschen der erneut eingeschlossenen Burg
erfahren, mit welcher Teufelei man sie diesmal zur Aufgabe zwingen
wollte. Die Krieger im Torturm hörten in einer mondlosen Nacht
in ziemlicher Nähe schürfende Geräusche, als würde
jemand die Erde umgraben. Aber in der Finsternis war nicht
auszumachen, was das bedeutete. Da zudem ein stürmischer Wind
wehte, der draußen durch die belaubten Äste der mächtigen
Gerichtslinde fuhr und ihre Blätter unablässig rauschen
ließ, glaubten die Wachen, sich
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