Die Klinge des Löwen 03
getäuscht zu haben. Erst
als der Morgen graute, sahen sie, was geschehen war.
Im
Schutze der dunklen Nacht und dem Lärm, den der Sturmwind
verursachte, hatten die Slawen sich bis auf etwa fünfzig Ellen*
zur Burgmauer vorgeschoben. Sie hatten mit Pfählen verstärkte
Erdaufschüttungen geschaffen und darauf mit Hilfe von
Weidengeflechten, dünnen Baumstämmen und Brettern eine Art
Palisadenwand von anderthalb Mannshöhe errichtet. Hinter dieser
Wand wurde jetzt bei Tagesanbruch emsig gesägt und gehämmert,
ohne daß man von der Burgmauer aus erkennen konnte, was die
Slawen hinter dem die Sicht versperrenden Wall trieben. Der
herbeigerufene Dietrich ahnte jedoch bald, was das Ganze bedeuten
sollte. Bei ihm war Roland, mit noch vom Schlaf verquollenen Augen,
und starrte verdutzt auf die Palisaden.
*[ Altes
Längenmaß: 1 Elle sind etwa 70 cm ]
"Was
das nur werden soll", sagte der Knappe kopfschüttelnd und
sah fragend seinen Herrn an.
"Denk
mal darüber nach", entgegnete Dietrich, ohne die Frage des
Jungen zu beantworten. "Wenn ich mich nicht irre, wirst du
wahrscheinlich bald etwas sehen, das über die Schirmwand
hinausragt."
Damit
verließ der Ritter den Wehrgang und eilte zur
Mannschaftsunterkunft, um mit Giselbert alle notwendigen Maßnahmen
zu besprechen. Geraume Zeit später kam er gerüstet und
gewappnet in Begleitung mehrerer Bewaffneter zurück. Unter den
Kriegern waren auch zwei Bogenschützen, die auf dem Wehrgang in
Stellung gingen und sich bereit machten, die hölzerne
Befestigung der Slawen mit Brandpfeilen zu beschießen.
"Na",
sagte Dietrich zu seinem Knappen, "hast du jetzt mehr gesehen?"
Roland
nickte mit ratlosem Gesicht. "Ja, hinter der Holzwand ragen
Balken in die Höhe..."
"Kannst
du dir immer noch nicht denken, was das wird?"
Wortlos
schüttelte der Knappe den Kopf.
"Was
du jetzt schon siehst", erklärte Dietrich dem Jungen, "gibt
das Stützwerk für eine Wurfmaschine! Ich hätte nicht
gedacht, daß die Steppenlümmel wüßten, wie man
einen Tribock* baut. Aber so kann man sich täuschen. Sie wollen
unsere Mauer mit großen Steinblöcken brechen."
*[ Damalige
deutsche Bezeichnung für eine Wurfwaffe (von franz. Trébuchet) ]
Roland
machte große Augen. "Und - wird das schlimm für uns?"
"Mit
solchen Dingern ist nicht zu spaßen. Wir werden wohl
rechtzeitig die Köpfe einziehen müssen, wenn sie loslegen.
Aber so schnell geht das nicht. Geh du jetzt nur mal frühstücken.
Wir werden inzwischen versuchen, die Palisaden in Brand zu schießen!"
Dietrich
wandte sich wieder den feindlichen Aktivitäten zu. Gleichzeitig
dachte er darüber nach, was sie erwartete, wenn die Slawen mit
ihrer Wurfmaschine erst einmal fertig waren. Offenbar befanden sich
in ihrem Heer Zimmerleute, die ihr Handwerk gut beherrschten, denn
oft dauerte es Tage, bis so eine Maschine einsatzbereit war. Hier
ging es wesentlich schneller - es kam ihm so vor, als probierten sie
bereits das Spiel des zwischen die senkrechten Stützen
eingehängen Wurfarmes aus.
Als
die Sonne im Mittag stand, schlug der erste kopfgroße Stein
gegen eine der Mauerzinnen, ohne jedoch großen Schaden
anzurichten. Noch zweimal kamen solche Geschosse geflogen. Sie
stiegen weit über die Mauer hinaus und landeten mit dumpfem
Aufschlag im Zwinger.
"Sie
üben, wie sie am besten unsere Köpfe massieren können!"
knurrte Dietrich, und zu seinen Bognern gewandt, befahl er: "Macht
euch bereit, ihnen mit euren Brandpfeilen ein bißchen
einzuheizen. Zielt auf..."
In
diesem Augenblick wurde er abgelenkt durch Roland, der sich gestärkt
und in Begleitung des Freiherrn Jost zurückmeldete. Allerdings
war Jost von Ullenburg alles andere als kampfmäßig
gerüstet. Er trug weder Brünne noch Helm, auch keine
Waffen, sondern erschien in einer grauen Tunika auf dem Wehrgang, als
sei er lediglich zu einem gemütlichen Spaziergang aufgebrochen.
"Ist
etwas los?" fragte er neugierig und wischte sich mit einem
rotfarbenen Tuch ächzend den Schweiß von der Stirn, denn
es herrschte inzwischen eine brütende Hitze.
Statt
einer Antwort wies Dietrich mit dem Kopf auf die Palisadenwand und
betrachtete dann Jost und Roland mit kritischem Blick. Schließlich
sagte er grollend: "Ihr beide könnt gleich wieder umkehren.
Die Slawen haben begonnen, mit Steinen zu werfen, denen eure bloßen
Schädel schwerlich standhalten dürften! Wappnet euch, und
kommt mir nicht ohne Kopfschutz zurück!"
Während
Roland sich eilig zurückzog, um den Befehl seines Herrn
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