Die Klinge des Löwen 03
zurückblieb.
Dietrich
sprang die Treppe hinauf und eilte hinaus auf den Wehrgang. Von der
westwärts gerichteten Brustwehr aus konnte er sehen, wie sein
Knappe die leere Heerstraße erreichte. Der schwarze Wolfshund
folgte ihm dicht auf den Fersen.
Bald
waren sie Dietrichs Blicken entschwunden. Nachdenklich verließ
er den Wehrgang und begab sich zurück in die Torhalle. Er sah,
wie in diesem Augenblick zwei seiner Kriegsknechte das Tor hinter der
bereits wieder hochgezogenen Fallbrücke schlossen und die
mächtigen Querbalken vorlegten.
*
Als
die Sonne sich nach Westen neigte, beriet Dietrich mit seinem
Hauptmann einen Plan, wie sie die Geiseln der Slawen befreien
könnten.
"Wißt
Ihr denn, wo sie zu finden sind?" fragte Giselbert.
"Sicher.
Ich erfuhr es von Hacko, der sich im Slawenlager anscheinend frei
bewegen kann."
"Wieviel
Mann brauchen wir für die Aktion?"
"Nur
wir beide. Mehr würden auffallen.
"Und
wann gehen wir los?"
"Heute
nacht. Viel Zeit haben wir nicht."
"Welche
Waffen soll ich mitnehmen?"
"Dolch
und Streitaxt. Kein Schwert, das könnte uns hinderlich sein."
Als
die Nacht herabsank, war alles besprochen. Um Mitternacht herum
wollten sich die beiden auf den Weg machen. Zwei zuverlässige
Waffenknechte wurden mit eingeweiht, weil Dietrich und Giselbert die
Hilfe dieser Männer beim Verlassen der Burg und bei der Rückkehr
benötigten.
Als
die Zeit für den Aufbruch da war, begaben sich alle vier zur
Südostecke der Burg, die am weitesten von dem auf der Nordseite
liegenden Slawenlager entfernt war. Zwei Mann trugen einen geräumigen
Korb aus starkem Weidengeflecht, in dem ein Mensch Platz hatte. Jetzt
lagen nur ein paar kräftige Seile darin. Als sie am Ende der
Ostmauer angekommen waren, wurde der Korb beiseite gestellt. Zwei der
Taue wurden um jeweils eine Zinne geschlungen und Ritter und
Hauptmann begannen sich abzuseilen.
Alles
geschah in völliger Stille. Jeder der beiden hatte Dolch und
Streitaxt im Gürtel stecken. Beide waren dunkel gekleidet, aber
ohne Brünne und Helm, deren metallischer Schimmer sie verraten
hätte. An den Füßen trugen sie knöchelhohe
Bundschuhe aus weichem Hirschleder, das ihre Schritte fast unhörbar
machen würde. Auch das Wetter war günstig für ihr
Vorhaben. Der Himmel war bedeckt, kein Mond erhellte die Landschaft.
Schnell
hatte die Nacht sie verschluckt, die Seile wurden wieder hochgezogen,
und die auf der Mauer zurückbleibenden Männer hatten jetzt
nichts weiter zu tun, als zu warten.
Die
Wachen der Slawen unterhielten mehrere Feuerstellen, deren
Lichtschein Dietrich und sein Kampfgefährte ausweichen mußten.
Um jedes Risiko zu vermeiden, umgingen sie das feindliche Lager in
einem weiten, nach Osten ausgreifenden Bogen. Auf dem letzten Stück
ihres Weges hatten sie bewaldetes Gelände zu durchqueren. Obwohl
sie dabei jeglicher Sicht entzogen waren, kamen sie in diesem
Abschnitt nur langsam vorwärts, weil sie jede Elle des Bodens
förmlich mit den Füßen abtasten mußten, um das
Geräusch brechender Zweige zu vermeiden.
Einige
Zeit nach Mitternacht stießen sie endlich auf den von den
Slawen Wochen zuvor durch den Wald geschlagenen talwärts
führenden Weg. Dietrich schätzte, daß die Hütte
mit den Gefangenen nicht weit entfernt sein konnte, wenn Hacko die
Wahrheit gesagt hatte.
"Gehen
wir nach links, am Wegrand entlang!" flüsterte er Giselbert
zu.
„ Sollen
wir uns nicht trennen?“ flüsterte der Hauptmann zurück.
„Es könnte ja sein, daß die Hütte weiter unten
liegt.“
„ Nein,
Giselbert. Komm nur weiter! Wenn Hacko mich wahrheitsgemäß
unterrichtet hat, dann befinden sich die Gefangenen in der Nähe
des Lagers.“
Beide
schlichen sich nun behutsam längs des Weges in die von Dietrich
bestimmte Richtung. Nach kurzer Zeit sahen sie die Umrisse eines
Verschlages vor ihnen aufwachsen, der hart an der Seite des Weges
stand. Kein Laut war zu hören - nichts rührte sich, weder
vor noch in dem Schuppen. Dietrich gab seinem Begleiter ein Zeichen,
und sie blieben etwa zehn Schritte von dem Bau entfernt unter den
Bäumen am Wegrand stehen und lauschten.
"Das
muß die Hütte sein, nicht wahr?" raunte Giselbert.
"Ja,
das glaube ich auch, aber wo sind die Wächter?"
"Vielleicht
in der Hütte?"
"Bleib
hier, Giselbert, und decke mir den Rücken."
Nach
diesen Worten näherte sich Dietrich vorsichtig dem primitiven
Verschlag, um den herum nichts als schweigene Finsternis war. Kein
Wind bewegte die Bäume, kein Laut unterbrach die
Weitere Kostenlose Bücher