Die Klinge des Löwen 03
Stille. Weiter
weg flackerten die Lagerfeuer der slawischen Wächter. Der
Feuerschein reichte jedoch nicht bis zu der Hütte, deren
unmittelbare Umgebung völlig im Dunkeln lag.
Dietrich
tastete sich vorsichtig an dem Bau entlang. Er fühlte, daß
dieser aus rohen, dünnen Baumstämmen gezimmert war. Als er
weiter daran entlanggriff, bemerkte er, daß statt einer Tür
von außen eine grob zusammengenagelte Deckwand angebracht war.
Er befühlte sie mit den Händen und spürte, daß
die Abdeckung durch zwei Querbalken gesichert war, so daß der
Ausgang von innen nicht geöffnet werden konnte.
Nachdem
er sich kurz umgesehen hatte, um sich zu vergewissern, daß er
nicht etwa in einen Hinterhalt geriet, legte er sein Ohr an die
Hüttenwand und horchte angestrengt. Zuerst war nichts zu hören,
doch dann vernahm er die tiefen Atemzüge schlafender Menschen.
Für kurze Zeit erklang das Stöhnen einer weiblichen Stimme,
und schließlich erzeugten Bewegungen in dem Bau ein Geräusch,
als ob sich jemand auf knisterndem Stroh unruhig hin und her wälze.
Dietrich
löste sich von der Wand und schlich vorsichtig um das primitive
Gebäude herum. Dabei wäre er beinahe mit dem Kopf gegen
einen der bis zur Hütte ausladenden Äste eines Baumes
gestoßen, dessen Stamm wenige Schritte vom Eingang entfernt
emporragte. Abermals horchte er an der Wand des Verschlages. Wächter
konnten keine im Innern sein, ging es ihm durch den Kopf, denn der
Eingang war ja von außen verschlossen. Wurde die Hütte
überhaupt nicht bewacht? Irgendwie kam es Dietrich seltsam vor,
denn ein Retter brauchte bloß die Querbalken aus der Halterung
zu heben, den Türersatz umzulegen - und der Weg für die
Gefangenen war frei!
Ein
unterdrückter Warnruf Giselberts schlug an Dietrichs Ohr. Im
selben Moment fiel eine schwere Last auf seine Schultern und riß
ihn zu Boden. Ein menschlicher Arm preßte ihn wie mit einer
Eisenklammer auf die Erde. Das Gewicht des Mannes tat ein übriges,
ihn bewegungsunfähig unten zu halten.
Wo
blieb Giselbert? Der Mensch, der ihn festhielt, stieß mit
kehligem Laut einen Ruf aus. Dietrich hörte, wie ein zweiter
Wächter zur Erde sprang, um dem, der ihn festhielt, zu Hilfe zu
eilen. Offensichtlich hatten sich die beiden im Geäst des nahen
Baumes versteckt. Er fühlte das kalte Eisen eines Dolches an
seiner Kehle, das ihn zwang, sich nicht zu rühren, und er
spürte, wie der zweite Mann ihn eilig entwaffnete. Im nächsten
Augenblick fühlte er sich grob emporgerissen. Jetzt riefen beide
zum Lager hinüber, und der Ritter sah, wie dort mehrere Krieger
aufsprangen. Er hörte, wie Rufe laut wurden, und sah kurz darauf
drei Mann mit Fackeln losrennen und rasch näherkommen.
Wo
zum Teufel bleibt Giselbert? schoß es ihm abermals durch den
Kopf. Die Antwort erfolgte diesmal unmittelbar. Lautlos war der brave
Reisige herangekommen, hatte kühl den rechten Moment abgewartet
und dann den beiden Wächtern die Köpfe zusammengeschlagen,
daß die Knochen krachten und seine Opfer lautlos zu Boden
sanken. Aber die Gefahr hatte sich deswegen nicht vermindert. Die
Krieger mit den Fackeln waren schon recht nahe.
Dietrich
sprang vor den Eingang, hob die Balken aus der Halterung und warf sie
zur Seite. Giselbert riß die Deckwand um, die dumpf auf die
Erde schlug, und beide stürzten ins Innere der stockdunklen
Hütte. Die Schreckensrufe der Gefangenen wiesen ihnen die
Richtung.
"Hier
sind zwei, um Weib und Kinder des Ullenburgers zu befreien!"
rief Dietrich.
"O
Gott, ist das so? Ist es wahr? Ich kann's nicht glauben",
seufzte eine apathische Frauenstimme, während die beiden Kinder,
ein Mädchen und ein Junge, sofort auf den Beinen waren.
Dietrich
zog ungeduldig deren Mutter empor. "Rasch", drängte
er, "die Feinde nahen!"
Während
Giselbert die beiden Kinder nach draußen führte, nahm
Dietrich die offenbar verwirrte Gemahlin des Ullenburgers schnell
entschlossen auf die Arme und trug sie hinaus. Hinter der Hütte
beleuchteten die Fackeln der mit erregten Rufen herannahenden Slawen
bereits die unmittelbare Umgebung.
"Wohin?"
rief Giselbert.
"Über
den Weg und durch den Wald, hinunter ins Tal", rief Dietrich
zurück. "Nimm du die Frau und die Kinder mit dir, ich halte
die Feinde ab!"
"Herr,
es sind nur drei, auch wenn in deren Lager bereits ein Mordsspektakel
herrscht. Wollen wir sie nicht gemeinsam zur Hölle schicken?"
Dietrich
begriff augenblicklich, daß für eine geordnete Flucht
keine Zeit mehr blieb. Die drei Slawen waren jetzt
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