Die Klinge des Löwen 03
hatte Berittene mit der
üblen Nachricht zu verschiedenen Burgen gesandt, um deren
Bewohner zu alarmieren, nachdem ein neuer Flüchtlingszug aus dem
Renchgebiet den Bericht der ersten Ankömmlinge bestätigte.
"Ich
kann mir keinen Reim auf diesen Angriff machen", sagte er zu
Giselbert und Jost von Ullenburg, als er die neuerliche
Hiobsbotschaft vernommen hatte. Er war mit dem Waffenknecht und dem
Freiherrn dabei, auf der äußeren Mauer nach dem Rechten zu
sehen. Letzterer war aus Dankbarkeit, das Gastrecht auf der Burg zu
genießen, eifrig bemüht, sich einzusetzen, wo es not tat.
"Wollen
die Eroberer sich jetzt wirklich jede einzelne Burg vornehmen und
zerstören?" fragte der Freiherr verwundert. "Das
kostet sie doch selber eine Menge eigener Leute, denn nachdem es sich
herumgesprochen hat, wie sie vorgehen, wird jeder Burgherr mit seinen
Mannen erbitterte Gegenwehr leisten, um ihnen nicht in die Hände
zu fallen. Wenn sie auf solche Weise ihre Macht festigen wollen, ist
ihr Heer am Ende so sehr zusammengeschmolzen, daß es nicht mehr
fähig ist, gegen König Philipp anzutreten."
"Vielleicht
denkt ihr Heerführer gar nicht so weit", warf Giselbert ein
und musterte den roten Himmel im Westen, dessen Feuer langsam
verglühte, nachdem die Sonne hinter dem Horizont verschwunden
war. In der Abenddämmerung lag das Dorf friedlich unter ihnen,
und steil aufsteigender dünner Rauch von den Feuerstellen der
Häuser kündete von einer längeren Schönwetterlage.
"Ja,
das mag sein", sagte Dietrich und seufzte. "Man müßte
Gedanken lesen können!"
"Ich
weiß einen, der das kann", entgegnete Giselbert und riß
sich von dem Farbenspiel des Abends los. Er warf dem jungen Ritter
einen scheuen Blick zu, als sei er sich nicht sicher, wie seine
Bemerkung aufgenommen würde. Dietrich sah ihn forschend an, aber
im rasch schwindenden Tageslicht konnte er den Gesichtsausdruck
seines Gegenübers nicht klar erkennen.
"Wen
hast du im Sinn?"
"Ihr
kennt ihn gut."
Dietrich
überlegte. "Meinst du den Mönch?"
"Ja,
Bruder Josef hat das zweite Gesicht."
"Nun,
der ist zur Zeit nicht hier. Er hat sich in seine Klause in den
Brandeckwäldern verkrochen. Allerdings glaube ich nicht, daß
er uns helfen könnte."
"Ihr
mögt recht haben. Mir kommt es allmählich so vor, als seien
die Slawen ziemlich wetterwendisch - an einem Tag tun sie dies, am
nächsten das Gegenteil. Da könnte sich auch ein
Hellsichtiger nicht zurechtfinden."
"Ich
habe eher den Eindruck, daß sie sich mitunter nicht einig
sind", sagte Dietrich nachdenklich, wobei er allerdings nicht
ahnte, wie nahe er der Wahrheit kam. Allerdings sollte ihm schon bald
auf unerwartete Weise klar werden, was der slawische Heerführer
mit dem Massaker auf der Schauenburg bezweckte.
Etwa
zwei Wochen später machte ein anderes, aber ebenso bedrohliches
Gerücht die Runde. Es paßte zu den Ereignissen in der
Natur, denn das schöne Wetter war angesichts der Jahreszeit auf
ungewöhnliche Weise zu Ende gegangen - es hatte sich mit Blitz
und Donner und heftigen Regengüssen verabschiedet. Ein
stürmischer Westwind fegte das gefallene Laub in Ecken und
Winkel. Als er sich gelegt hatte, kamen die Nachtfröste, und ihr
Eishauch löste die letzten noch verbliebenen Blätter von
den Bäumen. Auch tagsüber war es in diesen Novembertagen
nicht mehr sonderlich warm. Statt dessen kam der Nebel zurück
und mit ihm die Unheilsboten. Zuerst hörten es die Edelleute auf
den Burgen im nördlichen Teil der Mortenau. Von Mund zu Mund
weitergegeben, erreichte das recht verworren klingende Gerücht
dann auch die südlichen Lande.
Von
Anselm Hutter darauf angesprochen, meinte Dietrich achselzuckend:
"Angeblich soll der Ritter von Stauffenberg sich auf die Seite
Ottos von Braunschweig geschlagen und sich damit zum Kriegsdienst für
die Slawen verpflichtet haben."
"Ihr
glaubt das nicht?" fragte der Kämmerer in besorgtem Ton.
"Ach,
wißt Ihr, die Leute reden viel, wenn der Tag lang ist."
"Aber
in jedem Gerücht steckt ein Körnchen Wahrheit."
"Vielleicht
- vielleicht auch nicht. Warten wir's ab. Gar manches Gerede schläft
von selbst wieder ein."
Hier
irrte der sonst nüchtern urteilende Dietrich, weil er den
Zusammenhang zwischen der ins Land getragenen Behauptung und der
vorangegangenen Vernichtung der Schauenburg nicht sah. Ein solcher
Gedanke sollte bei ihm erst Fuß fassen, als an einem der
Nebeltage zahlreiche Berittene wie Schemen aus dem grauen Dunst
hervorkamen und vor den Mauern der Ortenburg
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