Die Klinge des Löwen 03
Irrtum erweisen.
Dietrich
seufzte und ging langsam über das vom Nebel benetzte Gras in
Richtung des inneren Tores. Mit wem hätte er die Sache
besprechen können? Er ließ die Menschen, mit denen er am
meisten zu tun hatte, vor seinem geistigen Auge vorüberziehen.
Da war Giselbert, ein wackerer Kriegsmann und ein Mensch, auf den man
sich immer verlassen konnte. Er hatte auch ein gutes Auge im
Schlachtgetümmel, behielt in gefährlichen Situationen
klaren Kopf, und mitunter kam von ihm sogar ein intelligenter
Vorschlag. Aber das alles bezog sich auf seinen engen Lebenskreis.
Strategische oder gar politische Überlegungen waren ihm fremd.
Er schied als Gesprächspartner aus.
Dann
war da noch Anselm Hutter, ein erstklassiger Kämmerer. Dietrich
hatte sogar den Eindruck, daß in dem alternden, vertrockneten
Schreibstubenhocker neues Leben erwacht war. Er war jetzt öfters
gezwungen, seine dämmrige Kammer zu verlassen und sich um
organisatorische Fragen zu kümmern, etwas, das ihn zu Lebzeiten
des Grafen Max nie berührt hatte. Mit wachsendem Eifer
beschäftigte er sich mit der Versorgung des durch Flüchtlinge
und Gefangene angewachsenen Volkes. Das erstreckte sich aber nicht
nur auf die Ortenburg selber, sondern auch auf die unmittelbare
Umgebung, die er kürzlich, ohne mit der Wimper zu zucken, bis
nach Ettenheim ausgedehnt hatte. Gerade dort hatte er durch die
rigorose Beitreibung fälliger Abgaben in Form von Korn gezeigt,
daß er sich auch sanfter Gewalt zu bedienen wußte, wenn
er etwas durchsetzen wollte. Kurz gesagt, er schien wieder jung zu
werden. Aber strategische Probleme wälzen? Dietrich schüttelte
unbewußt den Kopf. Nein, das würde den Alten überfordern
und ihm wohl auch die neu erwachte Lebensfreude vergällen. Das
konnte und wollte er ihm nicht antun.
Jost
von Ullenburg? Der war zwar willig, aber seit seiner Ankunft kreisten
die Gedanken des Freiherrn nur um sein schweres Schicksal, und was
ihn zu zermürben schien, war die Ungewißheit, ob Frau und
Kinder noch am Leben waren. Ihm konnte er keinesfalls mit seinen
eigenen Schwierigkeiten kommen.
Wer
blieb dann noch? Ida - ein flüchtiger Gedanke, den er rasch
beiseite schob. Sie vermochte über das Gesinde zu herrschen,
manchmal mit harter Hand, aber darüber hinaus?... Er brauchte
den Gedanken nicht zu Ende zu führen, um zu wissen, daß
sie seine Probleme, soweit sie den Krieg betrafen, als reine
Männerangelegenheit betrachtete. Sie konnte ihm in dieser
Beziehung auch nicht helfen. Etwas anders wäre es gewesen, wenn
sie die robuste Natur von Elisabeth von Husen gehabt hätte.
Dietrich schmunzelte unwillkürlich bei diesem Gedanken, während
er durch das Südtor in den inneren Burghof trat. Das war ein
Weib, mit dem man Pferde stehlen konnte! Sie war geistig sehr
beweglich, und ihre Unerschrockenheit hatte sie vor dem Tribunal
bewiesen, als sie mit mutigen Worten den Herren - vor allem Herzog
Berthold - die Leviten las.
Aber
auch das waren müßige Überlegungen. Elisabeth saß
weit entfernt auf der Husenburg und war wohl damit beschäftigt,
ihrem zaudernden Gemahl die Hölle heiß zu machen, wenn er
wieder einmal nicht wußte, ob er sich für oder gegen etwas
entscheiden sollte.
Mittlerweile
hatte Dietrich den Palas erreicht. Er verharrte am Fuße der
hölzernen Außentreppe und stellte in Gedanken fest, daß
er mit seinen Überlegungen wieder dort angelangt war, wo er
begonnen hatte - er stand allein. Alle Entscheidungen, die er künftig
in diesen Kriegszeiten treffen mußte, würden im Guten wie
im Schlechten auf ihn und sonst niemand zurückfallen. Vergeblich
war der Wunsch, sich auf einen Menschen zu stützen, der seine
Pläne kritisch zu prüfen vermochte, ehe sie in die Tat
umgesetzt wurden. Einen solchen Menschen gab es nicht. Wenigstens
glaubte er das in diesem Moment, als er sich aufraffte und die von
der Sonne gebleichten hölzernen Stufen hinaufstieg, um den Palas
zu betreten.
*
Als
Dietrich wenig später über eine enge steinerne Wendelstiege
das obere Stockwerk des Gebäudes erreichte, erwartete ihn Ida
vor dem Treppenturm. Ohne ein Wort zu sagen, faßte sie ihn am
Arm und zog ihn rasch in ihre Kemenate. Verwundert sah er, daß
sie den Riegel an der Tür vorschob. Er blickte sich um und
gewahrte, daß sie allein in dem großen Raum waren. Aber
schon hatte Ida sich ihm zugewandt und schlang ihre Arme um seinen
Hals.
"Küß
mich, Liebster", flüsterte sie leidenschaftlich und bot ihm
ihre Lippen. Er war völlig unvorbereitet
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