Die Klinge des Löwen 03
Welt. Erst danach wandte
sie sich wieder dem wartenden Ritter zu, wobei ihr zuvor gezeigtes
Lächeln einem gespannten Gesichtsausdruck gewichen war.
"Was
gibt es für einen Grund, daß du so ungestüm hier
eindringst?" sagte sie mit einiger Schärfe in der Stimme.
"Du
weißt genau, warum ich hier bin. Hör' also auf, mir etwas
vorzuspielen!"
Sie
ging zwei Schritte auf ihn zu und blitzte ihn an. "Wie redest du
mit mir?"
Er
maß sie grimmig von oben bis unten. "Ich rede mit dir so,
wie du es verdienst! Wie konntest du es wagen, aus einer Laune heraus
ein halbes Dutzend meiner Krieger ungefragt auf eine Reise zu
schicken, die mehrere Tage dauert, während du Adelheid die Bitte
um dieselbe Anzahl Mannen aus läppischen Gründen
abgeschlagen hast?"
"Ach!
Daher weht der Wind!" rief sie spöttisch und setzte sich
wieder. "Das süße Kind wird eben lernen müssen,
daß nicht alles nach dem eigenen Kopf geht. Im übrigen
brauchst du dich nicht über meine Entscheidung aufzuregen. Du
warst ja gar nicht da!"
Dietrich
biß sich betroffen auf die Unterlippe und schwieg. Aus einer
Regung heraus, über die er sich selbst nicht im klaren war,
wollte er vermeiden, daß Ida erfuhr, wo er sich aufgehalten
hatte.
Die
Gräfin beobachtete ihn abschätzend und musterte sein
Gesicht, das für sie wie ein offenes Buch war. Sie schien
schnell zu einem Ergebnis gekommen zu sein, denn spontan erhob sie
sich wieder, ging langsam auf ihn zu, schlang ihre Arme um seinen
Hals und lächelte ihn unvermittelt an.
"Schau,
Liebster, ich habe nicht aus Übermut gehandelt, sondern mir die
Entscheidung, Bertha mit meinem Sohn in Sicherheit zu wissen,
reiflich überlegt. Du weißt ja selbst, welche Gefahr
gerade unserer Burg durch die Slawen droht. Kannst du nicht
verstehen, daß ein Mutterherz ihr einziges Kind nicht einer
solchen Bedrohung aussetzen will? Das war der Grund, warum ich so
handelte!"
Dietrich,
von der Wärme und dem Duft Idas umfangen und von ihren
gefühlvollen Worten gerührt, merkte, wie sein Vorsatz,
standhaft zu bleiben, unaufhaltsam dahinschmolz wie ein verirrter
Eisberg vor Afrika. War er zu Beginn des Streitgespräches noch
felsenfest überzeugt, daß Ida ihn nicht mehr zu betören
vermochte, so erlosch sein Wille in ihrer unmittelbaren Nähe,
gleich einem Talglicht, dem die Nahrung ausgeht. Vergessen war
Adelheid, vergessen sein Bestreben, sich mit der Gemahlin
auszusöhnen, vergessen seine hoffnungsvollen Zukunftspläne,
die ihn noch vor kurzem in eine freudige Hochstimmung versetzt
hatten. Alles, was er sich an Neuem vorgenommen, wurde weggeschwemmt
von der Woge der Leidenschaft, die ihn immer dann aus der
Wirklichkeit forttrug, wenn Ida sich ihm mit weicher Hingabe öffnete.
"Aber
mußten denn gleich sechs meiner Mannen zur Bedeckung abgezogen
werden?" fragte er lahm, nur um sich selber einen letzten
Widerstand vorzuspiegeln.
"Du
weißt doch selbst, wie unsicher die Zeiten für Reisende
sind", sagte sie vorwurfsvoll, legte aber dennoch ihren Kopf an
seine Brust. "Ich hätte keine Ruhe gefunden, wenn ich für
meinen armen kleinen Sohn einen geringeren Geleitschutz gewählt
hätte. Verstehst du das nicht?"
"Doch,
ich verstehe dich", murmelte er und küßte ihren
weißen Nacken, während sie sich seufzend an ihn schmiegte.
Aber noch einmal durchzuckte Dietrich der Blitz des Zweifels. "Warum
bist du zurückgeblieben? Du hättest doch auf der Kastelburg
weitaus sicherer leben können, als hier, wo der Feind in
nächster Nähe sein Lager aufgeschlagen hat."
Sie
hob den Kopf und sah ihn mit lockendem Augenaufschlag an. "Da
hätte ich ja dich entbehren müssen!"
Diese
Antwort ließ Dietrichs warnende innere Stimme endgültig
verstummen. Er war Ida wieder verfallen, daran war nicht zu zweifeln.
Alles, was ihn zuvor von ihr entfernt hatte, erschien ihm plötzlich
nichtig und ohne Bedeutung. Und in der Stille der Kemenate vollzog
sich einmal mehr das ekstatische Drama, worin sie sich selbst in die
Fesseln ihrer Begierde schlugen.
Drei
Tage später war Giselbert mit seinen Mannen zurück, ohne
daß während ihrer Abwesenheit auch nur die Nasenspitze
eines Feindes zu sehen gewesen wäre.
*
Der
Winter ließ sich sachte an. Eigentlich konnte man das, was sich
beim Wetter abspielte, keinen wirklichen Winter nennen. Bis in den
Februar hinein blieben die Temperaturen meistens über dem
Gefrierpunkt. Die Schwarzwaldberge prangten weit hinauf in ihrem
dunkelgrünen Kleid, und nur die höchsten Gipfel trugen
mitunter eine weiße
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