Die Klinge des Löwen 03
aus, welche Erleichterung es für
ihn bedeuten würde, die gegenwärtigen lästigen
Pflichten von sich zu werfen und ein neues Leben an Adelheids Seite
zu beginnen. Je näher sie der Thiersburg kamen, desto mehr
berauschte er sich an dieser Vorstellung. Dabei übersah er
vollkommen, daß eine solche Entscheidung, wie sie ihm im Kopf
herumspukte, für ihn zu Acht und Bann führen würde.
Er
war fest entschlossen, den Tag auf seiner von ihm so lange
vernachlässigten Burg zu verbringen und die Gelegenheit
wahrzunehmen, um Adelheid zu überzeugen, daß er gewillt
sei, ein gemeinsames Leben mit ihr aufzubauen. Bestärkt wurde er
in diesem Wunsch, als kurz nach ihrer Ankunft Adelheid ihn überall
herumführte und er mit eigenen Augen sah, daß auf seiner
Burg außergewöhnlich gut gewirtschaftet wurde. Die
Unterkünfte für Mensch und Tier waren saubergehalten, die
Kemenaten hatte Adelheid wohnlich gestaltet, Vorratskammer, Scheuer
und Speicher waren den derzeitigen Verhältnissen entsprechend
gefüllt. Auch die schadhaften Burgmauern waren bereits teilweise
ausgebessert.
Es
fiel ihm auf, daß sowohl das Gesinde als auch die vor den
Slawen geflohenen Menschen, denen die Thiersburg ein Obdach gewährte,
Adelheid mit großem Respekt begegneten, und er begann zu ahnen,
welch tatkräftige Gemahlin er hatte! All diese Eindrücke
verdichteten sich bei ihm zu dem verrückten Wunsch, sofort mit
der Vergangenheit und den damit verbundenen Pflichten zu brechen. Er
konnte nicht anders, er mußte diese Gedanken unbedingt seiner
Gemahlin mitteilen, bevor er zur Ortenburg zurückkehrte.
Verwundert gab sie seinem Drängen nach, sich mit ihm zu einer
Unterredung in ihre Kemenate zurückzuziehen. Sie setzten sich
einander gegenüber, er auf eine Truhe, sie in einen Armsessel.
Dabei sah sie ihn mit einem erwartungsvollem Lächeln an, denn
sie konnte sich nicht vorstellen, was er ihr so Wichtiges mitzuteilen
hatte, daß dazu die Verschwiegenheit ihrer Kemenate notwendig
sein sollte.
An
diesem sonnigen Herbsttag waren die Holzläden der nach Westen
gerichteten Fensterlichtungen geöffnet. Aus dem Burghof schallte
der Klang von Männerstimmen herauf. Jemand schien Wasser aus dem
Brunnen zu schöpfen, denn man hörte das rhythmische
Quietschen der Seilrolle. Eine jugendliche weibliche Stimme gab
offenbar irgendwelchen Knechten eine kecke Antwort. Gelächter
stieg auf. Dietrich hatte die Hände auf seine Knie gestützt
und begann, Adelheid seine aus der ersten Begeisterung geborenen
Zukunftspläne darzulegen. Sie hörte ihm schweigend zu,
wobei ihre Miene jedoch immer skeptischer wurde. Trotz ihrer Jugend
schien sie die Dinge weitaus nüchterner zu betrachten, denn sie
hatte von ihrer Mutter gelernt, Wunsch und Wirklichkeit
auseinanderzuhalten. Als er fertig war, sah sie ihn mit einem Blick
voller Mitleid an, schüttelte das Haupt und sagte: "Was du
dir da in den Kopf gesetzt hast, mein Gemahl, wäre unser beider
Untergang!"
Dietrich,
so unvermittelt aus seinen Zukunftsträumen gerissen, starrte sie
fassungslos an. Recht schnell dämmerte ihm aber, was ihre
Antwort ausdrücken sollte. "Du meinst, weil ich jetzt
Lehensträger der Ortenburg bin, ist es mir verboten, mich meinen
eigenen Angelegenheiten zuzuwenden?"
Sie
schüttelte bekümmert den Kopf und sah ihn mit einem
nachsichtigen Blick an. Obwohl sie Jahre jünger war als er, ließ
sie sich von seiner Begeisterung nicht anstecken. Fast hatte es in
diesem Augenblick den Anschein, als versuchte eine Mutter ihrem
ungebärdigen Sohn etwas auszureden. Denn sie sah mit nüchterner
Klarheit, daß er sich in eine gefährliche Idee verrannt
hatte.
"So
darfst du das nicht sehen. Der Herzog hat dir trotz deiner Jugend ein
hohes Amt übertragen, obwohl es so manch älteren Edelmann
gibt, der vielleicht ein größeres Anrecht darauf gehabt
hätte. Nun bist du durch deinen Eid gebunden, vergiß das
nicht."
Dietrich
brauste auf: "Was schert mich ein Eid, zu dem man mich gezwungen
hat! Ich habe mich nicht nach diesem Amt gedrängt!"
Adelheid
faßte seine Hand. "Mein Gemahl, ich bitte dich inständig
- nimm Vernunft an. Du mußt den Tatsachen ins Auge sehen! Hast
du noch nie daran gedacht, daß die ganze Region auf dich
schaut? Das Schicksal hat es gewollt, daß die Ortenburg die
einzige wehrhafte Feste ist, die den Slawen wirklich im Wege steht.
Und du bist dazu bestimmt, sie zu verteidigen. Auf dir ruhen die
Hoffnungen der Menschen unseres Landes, und ich glaube, das hat
Herzog Berthold gesehen,
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