Die Klinge des Löwen 03
merkte, daß er offenbar nicht länger darauf beharrte,
die Kranken im Palas zu sammeln, wurde wieder zugänglicher.
"Warte, vielleicht hat der Mönch draußen in der Natur
manches gesammelt, was jetzt von Nutzen wäre. Wir wollen ihn
rufen lassen!"
Es
stellte sich bald heraus, daß Bruder Josef tatsächlich mit
besonderen Mitteln aufwarten konnte: "Ich habe eine
ausgezeichnete Arznei, die den Husten der Brustkranken besänftigt
und das Blutspeien beendet", erklärte er der Burgherrin und
Dietrich, die ihm hoffnungsvoll zuhörten. "Es ist ein
Sirup, bereitet aus Spießkraut* und einer braunen Masse, welche
die Araber aus dem Saft des Honigschilfes** gewinnen, der in der
Ebene von Tripolis wächst. Durch die Kreuzfahrer hat das Produkt
den Weg zu uns gefunden. Man nennt es Zucra. Es fühlt sich
zwischen den Fingern wie feuchtes Salz an, aber es ist süß
wie Honig."
*[ Spitzwegerich ]
**[ Zuckerrohr ]
Wie
er den Sirup bereitete, erzählte er den beiden nicht. Das
Geheimnis hatte er ebenso wie den Zucker von einem Ordensbruder, der
beides aus dem Morgenlande mitgebracht hatte. Aber weder Dietrich
noch Ida drangen darauf, mehr zu erfahren. Für sie war es viel
wichtiger, über eine wirksame Medizin für die Lungenkranken
zu verfügen. Der Mönch jedoch überraschte sie noch mit
einer anderen Arznei, die die Gesunden vor der Schwindsucht bewahren
sollte: "Für Euch und für alle, die noch nicht husten
und sich noch nicht eng auf der Brust fühlen, habe ich ein
Mittel, das Euch gegen die Schwindsucht schützt. Es ist die
Bockswurzel*, von der man in diesen Zeiten täglich ein Stückchen
kaut, so groß wie der Kleinfingernagel, und dann ist man
gefeit!"
*[ Bibernelle ]
"Oh,
es ist ein Segen daß Ihr hier seid, Bruder Josef", rief
Ida und ergriff impulsiv den Arm des Mönches. "Jetzt bin
ich beruhigt. Holt rasch Eure Schätze, ich will gleich meine
Frauen ans Lager der Kranken schicken, damit sie mit der Behandlung
beginnen!"
"Ich
möchte Euch noch eine Maßnahme empfehlen", sagte der
Mönch. "Die Schwindsüchtigen brauchen neue Kraft. Laßt
also ein Rind schlachten, kocht das Fleisch so lange, wie ein kleines
Talglicht braucht, um abzubrennen.* Wenn ihr noch Zwiebeln und Möhren
im Vorrat habt, gebt davon in den zu bereitenden Sud und flößt
das den Kranken täglich ein. Das wird sie kräftigen."
*[ Etwa
zwei Stunden. ]
Durch
die Hilfe des Mönches und den plötzlichen Eifer, mit dem
Ida ihre Pflegerinnen antrieb - ohne allerdings selbst bei den
Kranken zu erscheinen -, gelang es, die Seuche einzudämmen. Auch
Dietrich war erleichtert, nun, da er wußte, daß Hoffnung
bestand, seine erkrankten Krieger zu retten und die Gesunden vor der
Seuche zu bewahren.
Nur
ganz allmählich lockerte der Winter seinen Griff, und gegen Ende
Februar begann es zu schneien. Der Wind hatte sich gelegt, schwere
Schneewolken schoben sich gemächlich über den Himmel und
entluden ihre weiße Fracht zwei Tage und zwei Nächte lang
auf das erstarrte Land. Nun war es vorübergehend unmöglich
geworden, daß die Menschen miteinander verkehrten, denn der
frisch gefallene Schnee lag fast hüfthoch, und weniger feste
Dächer der ärmlichen Hütten brachen unter der Last
zusammen und begruben die Bewohner unter sich. Manche Hörigen
kauerten in verschwiegenen Winkeln auf den Knien und flehten zu Gott
und den Heiligen, die Heimsuchung von ihnen zu nehmen.
Aber
nicht nur das niedere Volk außerhalb der Burgen litt unter den
trostlosen Wetterverhältnissen. In den Heerlagern der Slawen,
die überwiegend in Zelten hausten, forderten sie noch mehr Opfer
als in den befestigten Wohnstätten der Einheimischen. Gotvac
verlor in diesen Monaten mehr als zweihundert Mann, die den grausamen
Winter nicht lebend überstanden. Lodernde Feuer verkündeten,
daß er die Leichenhaufen verbrennen ließ. Das war die
einzige Möglichkeit, um zu verhindern, daß bei
eintretendem Tauwetter Verwesungsdunst die Lager der Krieger
verpestete.
Erst
Anfang April setzte sich endlich der Frühling durch. Die
Schneemassen waren allerdings bereits im Laufe des März langsam
geschwunden, so daß die Befürchtung der Menschen, abermals
innerhalb kurzer Zeit eine Hochwasserkatastrophe erleben zu müssen,
sich nicht bewahrheitete.
Die
Frühlingssonne taute in einer fast zweiwöchigen
Schönwetterperiode nach und nach die Erde vollends auf. Schon
bald öffneten sich die Blütenstrahlen des Huflattichs, das
Scharbockskraut ließ da und dort seine goldenen Sterne in der
erwärmten
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