Die Klinge des Löwen 03
um die schäbigen
Hütten der Hörigen, pfiff und wimmerte durch Ritzen und
Spalten der Bretterwände, und es schien, als ob dieser
unheilvolle Kältebote alles Leben erstarren ließe. Der
ohne Schnee schutzlose Boden gefror mehr als eine Elle tief und wurde
hart wie Granit. In den Wäldern barsten zahlreiche Bäume,
die infolge des zuvor warmen Wetters bereits Saft getrieben hatten.
Das Wasser, das sich durch Überschwemmung und Regen in den
Mulden und ausgedehnten Vertiefungen der Ebene angesammelt hatte,
gefror zu gleißenden Eisflächen, die in der kraftlosen
Sonne wie Spiegel blinkten.
Selbst
Bruder Josef, der wetterharte Mönch, mußte seine Klause
aufgeben und hauste jetzt auf der Ortenburg. Dietrich sah sich
gezwungen, zahlreiche Krieger für die Mauerwache einzuteilen,
die einander in kurzen Abständen ablösten, da kein Mensch
es in diesen bitterkalten Tagen lange im Freien aushielt. Die
Außenposten zog er ab, da er sicher war, daß vor diesem
ungewöhnlichen Wintereinbruch auch die kältegewohnten
Slawen kapitulierten.
Dafür
zeichnete sich eine andere Katastrophe ab: Nicht wenige Menschen
unter dem einfachen Volk draußen in den Weilern, deren
Widerstandskraft entweder wegen der Nahrungsknappheit bereits
geschwächt war oder die ihre Lungen zu lange der mörderischen
Kälte ausgesetzt hatten, wurden von der Schwindsucht befallen.
Unter den Schwächsten forderte die Seuche schon bald die ersten
Opfer. Niemand vermochte zu helfen, und die Toten konnten nicht
begraben werden, weil der beinhart gefrorene Boden jeder Schaufel
trotzte.
Aber
nicht nur das niedere Volk war betroffen. Auch auf der Ortenburg
forderte die Krankheit ihren Tribut. Düster vernahm Dietrich,
daß einige der Wächter nicht mehr ihren Dienst versehen
konnten, weil Husten, Blutspucken und nächtliche
Schweißausbrüche sie geschwächt und mit bleierner
Mattigkeit auf ihr Lager geworfen hatten. Dietrich erkannte, daß
etwas geschehen mußte, wenn er nicht einen Mann nach dem
anderen verlieren wollte. Er begab sich zu Ida, weil er von ihr Hilfe
erhoffte.
"Die
Kälte fordert jetzt auch bei uns ihre ersten Opfer",
erklärte er. "Meine kranken Mannen müssen dringend
behandelt werden, sonst greift die Seuche weiter um sich, und am Ende
haben wir keine Krieger mehr zur Verteidigung der Burg!"
Ida
sah ihn mit großen Augen an. "Ist es so schlimm?"
"Ja,
und ich fürchte, es wird nicht besser, so lange dieser Eiswind
bläst. Du mußt mir helfen! Wir müssen irgendwie
verhindern, daß die Seuche in der Burg um sich greift! Am
besten wäre es, alle Kranken im Großen Saal
unterzubringen. Der Kamin dort würde die nötige Wärme
spenden, und die Pflege der Siechen an einem einzigen Platz wäre
viel einfacher."
Ida
zog mit plötzlichem Unmut die Augenbrauen hoch. "Wie
stellst du dir das vor? Soll mein Palas zu einem Siechenhaus
umgewandelt werden? Ich möchte die Kerle nicht in nächster
Nähe haben!"
Zunächst
war Dietrich verblüfft über diese Antwort, aber dann
reagierte er voller Empörung: "Wie? Du als Burgherrin
willst dich nicht um das Wohl der kranken Menschen kümmern, die
in deinen Diensten stehen? Kennst du deine Pflichten nicht?"
Störrisch
schüttelte Ida den Kopf. Sie schien nach Worten zu suchen.
Schließlich brach es aus ihr hervor: "Du hast gut reden!
Während du dich draußen herumtreibst oder in deiner Kammer
Däumchen drehst, soll ich inmitten der Schwindsüchtigen und
ihrer Ausdünstungen nach dem Rechten sehen und mich womöglich
so lange der Seuche aussetzen, bis sie auch mich ergriffen hat? Nein,
mein Lieber, ich bin zu jung, um mir jetzt schon den Tod zu holen!
Ich kann das nicht, und ich will das nicht!"
Dietrich
begriff, daß er sie nicht umzustimmen vermochte. Statt dessen
dachte er nunmehr an das Nächstliegende. "Die Ortenburg
unterhält doch sommers einen Kräutergarten. Wer sammelt und
verwaltet die Arzneipflanzen?"
"Bei
uns war immer Bruder Josef dafür zuständig",
entgegnete Ida tonlos. "Letztes Jahr im Frühsommer wollte
er mich in die Aufgabe einweisen, weil er beabsichtigte, sich für
längere Zeit in seine Klause zurückzuziehen. Aber es ging
in jenen Wochen alles drunter und drüber. Du weißt es ja
selbst, zuerst der Gerichtstag, und dann die kriegerischen
Ereignisse. Aus dem Kräutergarten ist daher das letzte Mal
nichts geworden."
"Das
hat uns gerade noch gefehlt", murmelte Dietrich betroffen. "Und
ich hatte schon Hoffnung geschöpft, als ich an dich und den
Kräutergarten dachte!"
Ida,
die
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