Die Klinge des Löwen 03
Schultern hoch, äußerte sich jedoch
nicht zu dem Unglücksfall, sondern berichtete ohne Umschweife,
was er herausgefunden hatte. "Wir müssen unter allen
Umständen den slawischen Bolzenschmeißer ausschalten, denn
er neutralisiert mit seinen Schüssen unseren Torturm.
Gleichzeitig mit ihm nehmen die slawischen Bogner uns auf den Mauern
so massiv unter Beschuß, daß hier unsere gesamte
Verteidigungsfront lahmgelegt ist. Auf diese Weise können ihre
Grabenfüller fast ungehindert arbeiten!"
"Teuflisch...",
murmelte Giselbert bedrückt.
"Nun
ja", entgegnete Dietrich. "Wir haben ihre Belagerungskünste
wohl unterschätzt. Aber wenn wir den Kerl mit der
Bogenschleuder* erledigen, können wir die Angreifer wirksam vom
Torturm aus bekämpfen. Alles andere ist jetzt zweitrangig."
"Und
wo sollen unsere Armbruster sich aufstellen?"
"Hier
im Torhaus, hinter den Mauerscharten. Mir müssen riskieren, daß
eventuell noch einer unserer Männer fallen wird. Sie müssen
halt mit ihrer Waffe schneller sein als der Gegner. Aber die
Aussicht, den unheimlichen Schützen kampfunfähig zu
schießen, ist gut - drei gegen einen!"
*[ Damals
übliche Bezeichnung für die Armbrust. Der Begriff
"Armbrust" soll erst im Spätmittelalter aufgekommen
sein, wird jedoch hier verwendet, weil der Leser - im Gegensatz zu
anderen Umschreibungen - sofort weiß, was gemeint ist. Zur Zeit
Dietrichs hießen diese Waffen "Armrüste",
"arcubalista" oder auch "crossbow". ]
Er
öffnete die Westtür und winkte Giselbert, ihm zu folgen.
Auf der Mauer war es momentan ruhig, die Besatzung des Wehrganges
hatte sich erhoben und stand abwartend hinter den Zinnen. Der Lärm
der Angreifer hatte sich etwas gelegt, nur hinter den Holzschirmen
schien weiterhin hektischer Betrieb zu herrschen. Giselbert lehnte
sich über die Brüstung und stieß einen Pfiff aus.
"Pest
und Teufel", rief er aus, als er sich wieder Dietrich zuwandte.
"Der Graben ist ja fast voll!"
Dietrich
nickte düster. Ehe er jedoch antworten konnte, setzte der Lärm
der Hörner und Pfeifen erneut ein, und er sah, wie die
slawischen Schützen wieder ihre Bogen spannten.
"Deckt
euch, Männer, es geht wieder los!" rief er den anderen zu
und zog gleichzeitig Giselbert zu sich herunter. "Achte auf die
uns zugewandte Seite des Pavesenblocks!"
Während
abermals ein dichter Regen von Pfeilen gegen die Mauer prasselte und
teilweise mit giftigem Sirren über die Verteidiger hinwegstrich,
erschien wie eine Spukgestalt der gefürchtete Armbrustschütze
außerhalb der Pavesen und schoß nach kurzem Zielen auf
eine der beiden Mauerscharten des Torturmes. Ebenso schnell, wie er
aufgetaucht war, verschwand er wieder in der Deckung.
"Jetzt
schütten sie wieder den Graben voll, hörst du es?"
sagte Dietrich. Das Gepolter des Schüttgutes war deutlich zu
vernehmen.
"Eine
Taktik, die ihnen wohl der Satan eingegeben hat", murmelte
Giselbert in grimmigem Ton.
"Verstehst
du jetzt, warum wir den Torturm so dringend brauchen?"
"Ja,
natürlich. Das ist doch für uns der wichtigste
Gefechtsbereich! Unsere Bogenschützen können ja auch nicht
verhindern, daß der Burggraben zugeschüttet wird, so lange
wir hier draußen einem solchen Hagel von Pfeilen ausgesetzt
sind."
"So
ist es, und der slawische Bolzenkämpfer sorgt mit seinen
Meisterschüssen dafür, daß wir den Turm nicht
benutzen. Ein einzelner Mann macht unsere wichtigste Kampfstellung
wirkungslos. Deshalb muß er ausgeschaltet werden, selbst wenn
der Feind die ganze Hölle gegen uns hetzt! Aber die Zeit drängt.
Wo Roland mit den Armbrustern nur bleibt?"
"Eigentlich
müßte er inzwischen zurück sein. Soll ich mal
nachschauen?"
"Ja,
mach ihnen Beine!"
Diesmal
ebbte der Pfeilbeschuß nicht ab. Weiterhin zur Untätigkeit
verdammt, konnte Dietrich nur beobachten, wie der slawische
Meisterschütze erneut den Torturm beschoß - ohne diesmal
gleich wieder zu verschwinden -, mußte in hilflosem Grimm
hören, wie weitere Steine in den Burggraben geschüttet
wurden, und sah schließlich entsetzt, wie Volker seine Waffe
fallen ließ und, von einem Armbrustbolzen am Hals getroffen,
röchelnd zu Boden sank. Einer der beiden ihn schirmenden Krieger
war offenbar dem Sturm der Pfeile nicht gewachsen und erschrocken
zurückgewichen, so daß sein Schild Volker für die
Dauer eines Atemzuges nicht deckte. Diesen Augenblick schien der
slawische Armbruster genutzt zu haben, um mit seinem tödlichen
Geschoß jenen Mann zu fällen, der ihm momentan als
einziger gefährlich
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