Die Klinge des Löwen 03
stieß sie auf und rettete
sich in das Torhaus. "Vorsicht, Herr", rief ihm Roland
hastig zu, "sie schicken Armbrustbolzen durch unsere
Schießscharten!"
Dietrich
drückte sich an die Seitenwand und zog den Helm, der ihm lästig
war und dessen Riemen er nicht festgeschnallt hatte, vom Kopfe. "Wo
ist Giselbert?"
"Draußen,
auf der Ostmauer."
"Sieh
mal rasch nach, was sie machen!"
Der
Knappe öffnete die kleine Tür auf der Ostseite des
Torturmes einen Spalt weit und lugte hinaus. "Sie liegen alle in
der Deckung."
"Der
Teufel soll die Slawen holen", preßte Dietrich durch die
Zähne. "Ich hätte nicht gedacht, daß sie so
viele Bogenschützen einsetzen."
Inzwischen
hatte der Knappe die Tür wieder geschlossen. Mit ängstlichen
Blicken betrachtete er im Halbdunkel der Torhalle seinen Ritter und
fragte besorgt: "Meint Ihr, daß sie uns überwältigen
werden, Herr?"
"Höre",
sagte Dietrich, ohne auf des Knappen Frage einzugehen. "Rufe
Giselbert in den Turm und erkläre ihm, daß er unverzüglich
weitere zehn Mannen zusammentrommeln und hierher bringen muß.
Drei oder vier von ihnen sollen sich mit langen Schilden rüsten.
Die anderen sollen jetzt das in der Küche bereitete heiße
Wasser holen. Außerdem sollen sie das hoffentlich vorgerichtete
Fett erhitzen lassen und eine Wanne voll hierher bringen. Du
begleitest den Hauptmann und paßt auf, daß nichts
vergessen wird! Eile jetzt! Und schafft mir alles so schnell wie
möglich herbei, wenn ihr heute nacht noch sicher hinter diesen
Mauern schlafen wollt!"
Roland
sah seinen Herrn mit großen Augen an. Dann besann er sich und
öffnete abermals die Tür, um Giselbert zu rufen. Dietrich
setzte den Helm wieder auf und verließ das Torhaus. Draußen
auf dem Wehrgang nahm er seinen Platz wieder ein und kauerte sich,
gezwungen durch den immer noch anhaltenden Pfeilbeschuß, erneut
hinter eine Mauerzinne. Von dort aber gewann er durch eines der
Zinnenfenster den Blick auf eine Stelle des Burggrabens vor dem Tor,
die schräg unter ihm lag.
Was
er sah, ließ ihn in ohnmächtigem Grimm die Lippen
zusammenpressen. Unter dem ohrenbetäubenden Getöse der
Blasinstrumente und dem Geschrei ihrer zurückliegenden Scharen
war es den Slawen gelungen, den Graben vor dem Turmfuß bereits
zur Hälfte zu füllen. Und als ob ihm die Feinde vorführen
wollten, daß es kein Mittel gegen ihre Belagerungstaktik gäbe,
mußte er zuschauen, wie ihr unaufhörlicher Pfeilregen ihn
und seine Männer wehrlos in die Deckung bannte. Im Schutze des
gesteigerten Geschoßhagels konnten inzwischen Slawenkrieger
ungeschoren ihre gefüllten Wannen durch die Lücken zwischen
den Holzschirmen nach draußen schleppen, wo sie hastig den aus
Gestein und Balkenstücken bestehenden Wanneninhalt in den Graben
beförderten. Genauso schnell verschwanden sie danach wieder in
der Deckung. Dieser Vorgang wiederholte sich mehrmals. Als sie
offenbar alle Wannen geleert hatten, hörte der dichte Pfeilregen
schlagartig auf und die Verteidiger konnten sich für kurze Zeit
wieder hinter den Zinnen aufrichten und ihre steifgewordenen Glieder
strecken.
"Die
Pest über diese Brüder. Hinter den Bretterverschlägen
füllen sie in aller Ruhe ihre Behälter...", murmelte
Dietrich in hilflosem Zorn. Wenn doch nur die angeforderten Mannen
schon da wären! Er mußte sich Gewalt antun, um zu
verhindern, daß er in Panik geriet. Das fehlte gerade noch -
ein von Angst gepeinigtes Oberhaupt von Burg und Lehen, das
angesichts der feindlichen Übermacht nicht mehr ein noch aus
wußte!
Zum
erstenmal spürte er, was es heißt, als einsamer
Befehlshaber eine große Burg und ihre Menschen vor der
Zerstörung durch einen grausamen Gegner zu bewahren. Das war
etwas anderes, als in der Heeresführung mitzuschwatzen, ohne
dafür groß verantwortlich gemacht zu werden, wie das
zuletzt der Fall war, als Urban von Geroldseck das Heer der Mortenau
gegen die eingedrungenen Slawen anführte. Damals hatte der
Geroldsecker die alleinige Verantwortung übernommen, und seit
der Niederlage hatte Dietrich nichts mehr von ihm gehört. Er
wußte lediglich von einem Gerücht, daß Urban sich
grollend auf seine Burg zurückgezogen und seinem Sohn Egeno die
Führung der Feste überlassen habe.
So
schnell zerbricht das Schicksal einen Menschen, dachte Dietrich
erbittert. Aber warum ich? Ich bin doch nur gezwungenermaßen
hier! Ach was, steh deinen Mann! machte er sich in plötzlich
aufkommendem Widerstandswillen selber Mut. Und dann tat er in einer
Anwandlung
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