Die Klinge: Roman (German Edition)
spendieren?«, fragte er.
Ihre fragenden Augen glitzerten im Kerzenlicht, und sie lächelte ihn an. »Ich warte leider auf einen Freund. Sonst hätte ich Ihr Angebot gern angenommen.«
»Tja, ich dachte, ich frage einfach mal.«
»Das war nett von Ihnen. Danke.«
»Also … bis dann.«
Er zog sich zurück und ärgerte sich darüber, wie er auf ihre Absage reagiert hatte.
Ich dachte, ich frage einfach mal.
Großartig.
Sie muss mich für einen totalen Versager halten.
Na und?, sagte er sich. Es spielt eigentlich keine Rolle, was sie von mir denkt. Wahrscheinlich sehe ich sie sowieso nie wieder.
Er ging nicht zu seinem Tisch zurück, sondern verließ das Willow Inn.
Auf der Fahrt nach Hause durchlebte er wieder und wieder die Szene mit der Frau, und jedes Mal stieg ihm die Schamesröte ins Gesicht.
Ich hätte es nicht bei ihr versuchen sollen, dachte er.
Er hatte geahnt, dass es in einer Katastrophe enden würde.
Fragen kann nicht schaden. Zumindest habe ich nicht gekniffen.
Plötzlich fragte er sich, ob sie wirklich auf einen Freund gewartet hatte. Vielleicht hatte sie das nur behauptet, um ihn abzuwimmeln.
Ich war nicht gut genug für sie. Sie hat es gesagt, um mich loszuwerden.
Das erschien ihm plausibel.
Lester schämte sich in Grund und Boden.
Dann sagte er sich: Wenn sie eine Frau ist, die so eine Nummer abzieht, dann will ich sie gar nicht kennenlernen.
»Aber bumsen würde ich sie trotzdem«, sagte er laut und lachte.
Als er zu Hause ankam, betrachtete er seinen Versuch nicht länger als Fehler. Stattdessen sah er ihn als ersten unsicheren und unbeholfenen Schritt in ein neues Leben.
Ein Leben mit einer Frau, die ihn mochte.
Früher oder später würde er eine finden.
Eine echte Frau, keine kaltherzige Schlampe wie Helen.
Er fand Helen im Schlafzimmer, wo sie ein Nickerchen machte. Sie lag auf dem Bauch unter dem Laken. Ihre Schultern waren nackt. Die Konturen ihres Körpers zeichneten sich unter dem Laken ab.
Sie ist nackt da drunter, begriff er.
Ich könnte das Laken wegziehen und sie umdrehen und ihre Beine spreizen und …
Wenn es nicht Helen wäre.
20 ALICIA
Albert gefiel der Pontiac der Frau. Er hatte Power und Klasse. Und das Schönste war, er hatte eine Klimaanlage. Soweit er es beurteilen konnte, war die einzige Schattenseite die rote Tanknadel, die immer weiter nach links kroch. Schon bald würde sie auf null zeigen.
Allein bei dem Gedanken, an einer Tankstelle anzuhalten, bekam er Magenkrämpfe.
Er konnte unmöglich tanken. Nicht mit einer Leiche im Kofferraum.
Als er nach Wichita, Kansas, hineinfuhr, stand die Anzeige auf null. Da er damit rechnete, dass der Motor jeden Moment absterben würde, bog er auf den Parkplatz hinter einem Sambo’s-Restaurant und hielt vor dem Gebäude.
Er verstellte den Rückspiegel, sodass er sein Gesicht sehen konnte.
Nicht schlecht, aber irgendetwas stimmte nicht.
Er trug frischen Lippenstift auf.
Er sah immer noch seltsam aus. Dann bemerkte er das Problem – die Perücke. Aus der Nähe konnte jeder sehen, dass es keine echten Haare waren. Die Perücke passte ein fach nicht richtig.
Er setzte sie ab. Sein blondes Haar klebte verfilzt am Kopf. Er nahm eine Bürste aus der Handtasche und bearbeitete es ein paar Minuten, scheitelte es knapp neben der Mitte und strich es sich in die Stirn, sodass einige feine Strähnen über seinem rechten Auge wippten.
»Bezaubernd«, sagte er.
Er nahm die Handtasche, stieg aus dem Auto und schloss die Türen ab. Als er an Sambo’s Restaurant vorbeiging und das Essen roch, knurrte sein Magen. Aber er ging weiter.
Lange folgte er der Straße. Die Sandalen brannten an seinen Füßen. Der Büstenhalter war zu eng und kniff an den Seiten.
Doch der BH war ein essenzieller Bestandteil der Verkleidung. Er betrachtete sein waberndes Spiegelbild in den Schaufensterscheiben. Kaum zu glauben, dass er das wirklich war. Das Mädchen, das er sah, wirkte schlank und langbeinig in dem Rollkragenpullover und dem Rock. Das kurze Haar verlieh ihr etwas Jungenhaftes.
Die würde mir auch gefallen, dachte er.
Wenn ich mit ihr allein wäre und …
Als er sich vorstellte, wie er ihr die Kleider vom Leib schnitt, bildete sich eine Beule unter ihrem Rock.
Er musste einen ganzen Straßenzug lang die Handtasche davorhalten.
Denk nicht an so was, ermahnte er sich. Denk an etwas Unangenehmes.
Zum Beispiel daran, dass die Bullen dich schnappen.
Das wird nicht passieren, sagte er sich. Solange ich in Bewegung bleibe,
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