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Die Klinge: Roman (German Edition)

Die Klinge: Roman (German Edition)

Titel: Die Klinge: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Richard Laymon
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ich ein Kind war.«
    Sie schüttelte traurig den Kopf. »Wir haben so viele wunderbare Dinge getan, als wir Kinder waren. Ich habe gern im Gras gelegen und die Schatten der Wolken beobachtet. Hast du das auch gemacht?«
    »Klar.«
    »Es gab immer viele bärtige Männer und Schafe darunter.«
    Lester lachte.
    »Ich meine das absolut ernst. Ich bin auch oft mit meinen Gummistiefeln durch Pfützen gelaufen und habe fest aufgestampft, um das Wasser möglichst hoch aufspritzen zu lassen.«
    »Ich auch. Und ich war sehr gut darin, Dinge zu werfen.«
    »Steine?«
    »Steine, Ziegel.«
    »Schneebälle?«
    »Und Papierkügelchen und Papierflieger.«
    »Und Matschklumpen, die zu einer Million Stücke zerplatzt sind!«
    »Und einmal, als ich großes Glück hatte, meinen älteren Bruder – mit einem Judowurf über meine Schulter.«
    Emily Jean lachte. »Einfach nur, weil das Werfen Spaß gemacht hat«, sagte sie und schleuderte ihr leeres Glas in den offenen Kamin. Als es an dem Rost zersprang, warf Lester seines hinterher. Es prallte an einem der Holzscheite ab und zerplatzte an den Ziegeln.
    Beide lachten, und dann fielen sie sich in die Arme. Sie wurden ernst. Sie legten sich auf das Sofa und hielten einander lange. Sie sprachen nicht. Sie rührten sich kaum. Sie hielten sich einfach nur fest.
    Dann lösten sie ihre Gesichter voneinander. Lesters Wange war heiß, weil er sie gegen ihre gedrückt hatte. Sie sah ihm in die Augen. Er lächelte, und sie küsste ihn. »Sollen wir ins Schlafzimmer gehen?«, schlug sie vor.
    Sie führte ihn die Treppe hinauf und trat in das Zimmer mit der blauen Überdecke und dem verschwitzten, sich windenden Rockstar auf dem Poster an der Wand.
    »Lass uns in dein Zimmer gehen«, sagte Lester.
    Sie sah ihn ernst an.
    »Wenn wir miteinander schlafen, Emily Jean, dann will ich es in deinem Bett machen – nicht in dem deiner Tochter. Mit dir. Ohne dass du so tust, als wärst du sie.«
    »Das haben wir schon probiert, Schatz. Es hat nicht funktioniert.«
    »Dieses Mal wird es funktionieren.«
    Sie begann zu weinen. Lester nahm sie in den Arm. Er führte sie langsam über den Flur in ein Schlafzimmer mit wehenden Vorhängen und zwei verwirbelten Landschaftsbildern von Van Gogh über dem Bett.
    Und es funktionierte.
    Sie waren eingeschlafen, als das Telefon klingelte. Lester schlug die Augen auf. Es war dunkel im Zimmer.
    Ein Schreck durchfuhr ihn.
    Wie spät ist es?
    Das Telefon läutete erneut.
    Es muss mindestens schon sechs Uhr sein, dachte er, sonst wäre die Sonne noch nicht untergegangen.
    Was, wenn es Helen ist, die anruft?
    Es klingelte noch einmal.
    Sie weiß nicht, dass ich hier bin.
    Zur Hölle mit Helen, dachte er und lächelte. Wie poetisch: Zur Hölle mit Helen.
    Emily Jean streckte einen Arm durch die Dunkelheit und nahm den Hörer ab. Ihre Stimme klang schläfrig und angenehm, als sie Hallo sagte. Sie hörte einen Augenblick lang zu. »Ja, das ist sie.« Es vergingen ein paar Sekunden. Plötzlich stieß sie hervor: »Nein! Wie schlimm?«
    Lester stieg aus dem Bett.
    »Ich verstehe.«
    Er begann, sich anzukleiden.
    »Ja, ja, ich verstehe.«
    Er versuchte, nicht zuzuhören. Er kam sich fehl am Platz vor und fragte sich, ob er aus dem Zimmer gehen sollte.
    »Nein, nicht, dass ich wüsste.«
    Er trat in den Flur, knöpfte sein Hemd zu und kehrte erst wieder zurück, als er hörte, dass Emily Jean auflegte.
    »Es ging um May Beth«, sagte sie leise und wie benommen. »Irgendwie … sie wurde verletzt. Sie wurde ins Krankenhaus eingeliefert … in Denver. Ins County General … voller Schnittwunden … gestern Abend.«
    »Wie schlimm ist es?«
    »Ihr Zustand ist kritisch. ›Kritisch‹, hat der Arzt gesagt. Sie war bewusstlos … bis vor einer halben Stunde.« Emily Jean schüttelte den Kopf. »Ich muss zu ihr.«
    »Ich fahre dich zum Flughafen«, sagte Lester.
    Sie setzte sich im Bett auf. »Oh, danke. Aber das kannst du nicht machen, Lester. Helen …«
    »Zur Hölle mit Helen«, sagte er. »Machen wir uns auf die Socken.« Er setzte sich neben Emily Jean und legte eine Hand auf ihre warme, zarte Schulter.
    Sie war schon angezogen und wählte eine Nummer auf dem Telefon im Wohnzimmer, als es an der Tür klingelte.
    »Kannst du für mich gehen?«, fragte sie.
    Und wenn es Helen ist?
    Bei dem Gedanken wurde Lester ein wenig übel.
    »Klar«, sagte er.
    Ich hoffe, es ist Helen.
    Er lief zur Tür und riss sie auf.
    »Süßes oder Saures!«, rief ein Trio aus kleinen Kindern: ein Gespenst, ein

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