Die Klinge
Tweeds Büro im ersten Stock kamen, trafen sie dort nicht nur auf Monica, sondern auch auf Howard, den Direktor des SIS, der in seiner üblichen lässigen Haltung in einem der Sessel saß. Er hatte ein Bein über die Lehne geschwungen und rauchte eine Zigarre, was offenbar eine neue Angewohnheit von ihm war.
Howard war ein über einen Meter achtzig großer Mann mit schwerem Körperbau und einem rosigen, etwas aufgedunsenen Gesicht, dem man seine Vorliebe für Gourmetrestaurants deutlich ansah. Er trug einen neuen grauen Maßanzug, eine teure Krawatte von Hermès und handgearbeitete Schuhe. Als er aufstand und Paula umarmte, wurde sie von einer Wolke seines Aftershaves eingehüllt und rümpfte die Nase. Ihr war Howard mit seiner gestelzten Sprechweise und seinem vornehmen Getue nie richtig geheuer gewesen, in Krisenzeiten hatte er sich zu ihrer Überraschung aber immer voll hinter Tweed gestellt.
»Ich hatte in Ihrer Abwesenheit alle Hände voll zu tun, die Stellung hier zu halten«, informierte er Tweed, der mittlerweile seinen Mantel ausgezogen und sich an seinen Schreibtisch gesetzt hatte. »Dabei musste ich einige allzu dreiste Einmischungsversuche abwehren.«
»Von wem denn?«, fragte Tweed.
»Ach, von irgendwelchen Special-Branch-Heinis und vom Innenminister.«
»Der Innenminister hat hier überhaupt nichts zu melden«, sagte Tweed trocken.
»Das habe ich ihm auch erklärt, wenn auch in einem etwas diplomatischeren Ton. Und aufreizend langsam dazu
- schließlich weiß ich, dass er keine Zeit hat. Also habe ich ihn geschlagene zehn Minuten am Telefon beschwatzt und ihm denselben Sachverhalt bestimmt ein Dutzend Mal erklärt, bis er endlich genug hatte. Unsere Unterhaltung endete damit, dass er den Hörer auf die Gabel knallte.«
»Gut. Ich konnte diesen verschlagenen, kleinen Pinscher noch nie leiden.«
»Wie war Ihr Ausflug nach Pinedale?«
Knapp, aber präzise schilderte Tweed ihren Aufenthalt in Maine und wiederholte, was von Parrish, Jed und Millie zu erfahren gewesen war. Je länger er sprach, desto ernster wurde Howards Miene.
»Merkwürdig, dass sich das Anwesen des Vizepräsidenten in so unmittelbarer Nähe des Tatorts befindet...«
Er kam nicht dazu, seinen Satz zu beenden, weil das Telefon läutete. Monica gab Howard zu verstehen, dass auf seinem Apparat ein dringender Anruf eingegangen sei, worauf er eilig nach oben in sein Büro ging.
Paula richtete sich entschlossen auf und sah Tweed herausfordernd an. »Würden Sie mir jetzt vielleicht meine Frage beantworten?«
»Welche denn? Sie stellen mir immer so viele Fragen«, erwiderte Tweed schmunzelnd.
»Die ich Ihnen auf dem Rückflug gestellt habe. Ich wollte wissen, was Sie von Millie halten, der Putzfrau des Sanatoriums.«
»Das werde ich Ihnen gleich sagen. Aber erst einmal schließen Sie die Augen und hören mir zu. Millie hat uns nämlich unschätzbare Informationen geliefert.«
Paula tat, was Tweed von ihr verlangte.
»Rufen Sie sich vor Augen, wie der geheimnisvolle Patient, Mr. Mannix, sich von der Limousine noch einmal zurück zum Sanatorium bringen lässt. Zum Glück verdrückte sich Millie sofort durch die Hintertür, sonst wäre auch sie jetzt vielleicht einen Kopf kürzer. Kurze Zeit später
überrascht der Mörder Hank Foley dabei, wie er in den Schränken mit den Unterlagen der Patienten herumschnüffelt. Er schlägt Foley mit dem stumpfen Ende der Axt nieder und schleift den Bewusstlosen ins Freie an die Stelle, wo Sie diesen rechteckigen Abdruck entdeckt haben. Dort dreht er Foley auf den Rücken und legt seinen Hals auf den Richtblock. Mit einem einzigen Axthieb trennt er den Kopf vom Rumpf, den er daraufhin hinauf auf die Klippen zerrt und ihn in die Spalte wirft, wo Jed ihn später gefunden hat. Das Gelände, auf dem all das geschieht, ist weder vom Haus noch von der Straße aus einzusehen, weshalb auch der Fahrer der Limousine nichts mitbekommen haben muss. Auf dem Rückweg nimmt der Mörder den Kopf mit und verstaut ihn in irgendeinem Behältnis, mit dem er dann in die Limousine steigt und sich wegfahren lässt.«
»Er hätte den Kopf aber auch ins Meer werfen können«, wandte Newman ein.
»Wäre möglich, aber ich glaube es nicht.«
»Was für eine schreckliche Geschichte«, sagte Paula, als sie die Augen wieder öffnete. »Ich habe alles richtig vor mir gesehen.«
»Ich behaupte, dass der Mörder den Rumpf deshalb in die Spalte geworfen hat, damit er gefunden wird«, fuhr Tweed fort. »Und in Bray lag
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