Die Klingen der Rose: Jenseits des Horizonts (German Edition)
sich Gabriel an die Menge wandte. Er brauchte keine Kiste oder irgendetwas anderes, damit ihn die Zuhörer besser sahen und ihm ihre Aufmerksamkeit schenkten. Das schaffte er allein mit seiner Stimme.
»Wir haben einen kleinen Standortvorteil«, sagte Gabriel. »Das Kloster liegt hoch oben und verfügt nur über einen einzigen Eingang. Graves’ Brandsätze und einige von Altans Männern, die auf der Brüstung postiert sind, bilden die erste Verteidigungslinie. Doch die Erben werden einen Weg finden, die Mauer zu durchbrechen. Wenn sie das tun, werden die Mönche und Stammesbrüder alles daran setzen, die Söldner zu entwaffnen. Graves und Hsiung Ming kümmern sich um die Waffe, die auf dem Dach der Schmiede befestigt ist. Altan, der Rest seiner Männer und ich bewachen Lan Shun, der mit dem Kessel im Tempel sein wird. Alles klar?«
»Was ist mit mir?«, fragte Thalia. »Wo soll ich mich postieren?«
Er sprach mit ihr wie mit einem Infanteristen. »Du und Day, ihr seid unsere besten Schützen, also postiert ihr euch in der Pagode.« Er deutete auf den hohen runden Turm. »Er hat ringsum Fenster, sodass man von dort hervorragend das Eingangstor verteidigen und auf jeden schießen kann, der versucht, die Mauer zu durchdringen.« Gabriel verschwieg, dass sie diesen Posten nicht nur ihrer Treffsicherheit verdankte. Es war die Stelle des Klosters, die am weitesten von der eigentlichen Schlacht entfernt lag. Dort war sie am sichersten, und er brauchte nur hinaufzusehen, um sie jederzeit im Blick zu haben. Dass Day ihr als Wache diente, war eine zusätzliche Sicherheit. Vielleicht mochte Gabriel den charmanten Mistkerl nicht, aber Day würde alles tun, um Thalia zu beschützen.
Thalia schien Gabriels eigentliche Beweggründe zu erahnen, doch sie widersprach nicht. Gabriel ging rasch noch ein paar letzte Anweisungen durch. »Ich glaube, das war alles«, sagte er, nachdem er fertig war. Er wollte so schnell wie möglich seine Position einnehmen und diesen verdammten Kampf beginnen.
»Nicht alles«, sagte Lan Shun und trat nach vorn. Unter einem Arm trug er den Kessel, und in der Hand hielt er einen goldfarbenen Beutel aus Seide. Ein junger Mönch nahm Lan Shun den Beutel ab und begann, den Inhalt an alle zu verteilen. Gabriel wusste nicht, was sie verteilten, doch als der Mönch Gabriel bedeutete, die Hand auszustrecken, tat er es. Der Mönch legte etwas winziges, rundes in Gabriels Hand und ging weiter. Bei näherer Betrachtung erkannte Gabriel, dass es sich um ein Saatkorn handelte.
Selbst die Klingen der Rose schienen verwirrt, als sie den Samen in ihren Händen betrachteten. Lan Shun und sein Gehilfe nahmen ebenfalls einen Samen.
»Legt den Samen hierher«, wies Lan Shun sie an und deutete auf die Mulde unter seinem Hals. Alle gehorchten, und Lan Shun stimmte einen Gesang an.
Die Worte hatten kaum den Mund des Mönchs verlassen, da wurde der Samen in Gabriels Fingern bereits unglaublich warm. Er wollte ihn abschütteln, doch der Samen löste sich nicht von seinem Hals. Stattdessen keimte er mit unglaublicher Geschwindigkeit. Bei sich selbst konnte er es nicht sehen, doch er beobachtete, dass Thalia die gleiche Erfahrung machte. Ihre Augen weiteten sich vor Überraschung. Auf beiden Seiten des Samens wuchsen grüne Triebe und wickelten sich wie Schlangen um ihren Hals. Gabriel versuchte, daran zu ziehen, doch Lan Shun rief: »Nein! Lasst den Samen seine Arbeit tun.«
Gabriel hatte nicht viel für Schlangen übrig, selbst wenn es sich in diesem Fall um eine pflanzliche Schlange handelte. Nur mit Mühe konnte er sich beherrschen, den Samen nicht abzureißen. Doch er hielt das Gefühl der gleitenden, kriechenden Triebe aus, die sich um seinen Hals wanden, bis sie sich in seinem Nacken trafen. Eine lebendige Halskette.
»Entfernt unter keinen Umständen den Samen«, befahl Lan Shun. »Er wird euch schützen.«
»Vor den Erben?«, fragte Altan.
»Davor.« Lan Shun hielt den Kessel hoch.
Thalia, Gabriel und die Kämpfer sahen sich an. Was zum Teufel passierte, wenn die Kraft der Quelle freigesetzt wurde? Aber Lan Shun wirkte überzeugt, und da Gabriel kaum Erfahrung mit Quellen jeglicher Art hatte, vertraute er dem Abt.
»Die Erben werden bald hier sein«, sagte Graves mit Blick auf seine Taschenuhr.
Gabriel legte den Kopf auf eine Seite und lauschte. »Ich höre sie kommen.« Die Hufe ihrer Pferde erzeugten ein gedämpftes Donnern, das näher kam. Er kannte das Geräusch gut. »Alle auf ihre Posten.«
Als sich
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