Die Klingen der Rose: Jenseits des Horizonts (German Edition)
gewickelt, dass ihr seine Brust verborgen blieb, doch vorerst genügte ihr der Anblick seines Schlüsselbeins und des Schattens an seinem Halsansatz und seinem kräftigen Nacken.
Auch seine Hände und Füße erregten ihre Aufmerksamkeit. Sie waren groß und kräftig, wirkten überaus männlich und verheißungsvoll. Das faszinierte sie. Sie wollte diese Hände auf ihrem Körper spüren und fragte sich, wie sie sich wohl anfühlten. Rau? Sanft? Beides war ihr recht.
Er spürte seine Wirkung auf sie. Jedes Mal, wenn sie mit ihrem Blick zu lange bei ihm verweilte, sah sie ein amüsiertes, aufmerksames Funkeln in seinen Augen. Sie registrierte, dass auch er sie über das Feuer hinweg musterte. Sie hatten Furchtbares zusammen durchgestanden, waren jung und gesund und befanden sich weit weg von der zivilisierten Gesellschaft. Es erschien nur natürlich, dass in der Höhle ihre Lust erwachte und die Luft schwül werden ließ.
Sie verstand Männer gut, ihre Beweggründe schienen ihr direkter und klarer als die von Frauen. Für sie stellte Sex schlichtweg ein körperliches Bedürfnis dar. Sie wollten es. Sie taten es. Sie mochte keine klassische Schönheit sein, doch wenn sie den Hauptmann bat, sich zu ihm legen zu dürfen, würde er sie nicht zurückweisen. Es wäre ein Leichtes. Batu schlief. Sie musste Hauptmann Huntley lediglich ein Zeichen geben oder aufstehen und die Decke fallen lassen. Der Rest ergab sich von allein.
Doch Thalia war kein Mann. Sie empfand zwar ebenfalls Verlangen, aber dieses zu befriedigen, erwies sich als komplizierter. Einmal wäre sie fast mit einem Mann ins Bett gegangen, und für diese flüchtige sexuelle Erfahrung hatte sie teuer bezahlt. Wenn sie sich einem Mann körperlich hingab, fühlte sie sich verletzlich und konnte die Angelegenheit nicht mehr auf die leichte Schulter nehmen. Es war nicht, als würde man einen Apfel essen, wenn man Lust auf etwas Süßes verspürte. Männer, insbesondere mit einem Körper wie Hauptmann Huntley, konnten sich anschließend problemlos aus dem Staub machen.
Sie würde ihn ansehen, aber nicht berühren. So geriet sie nicht in Versuchung. Damit würde sie sich wohl zufriedengeben müssen. Obwohl es ihr verflixt schwerfiel.
Sie versuchte sich abzulenken, indem sie sich auf ihren Auftrag konzentrierte und dem Hauptmann alles erzählte, was er zum Schutz der unbekannten Quelle wissen musste. Die Nacht war hereingebrochen, und der Regen hatte nachgelassen. Die Höhle verschaffte ihnen vorübergehend die Illusion von Sicherheit und Frieden.
»In meinem Del «, sagte sie, »finden Sie den Kompass, den Tony Ihnen für meinen Vater mitgegeben hat.«
Hauptmann Huntley beugte sich zu ihrer trocknenden Kleidung hinüber und durchsuchte ihre Manteltasche, bis er besagten Gegenstand gefunden hatte. Thalia beobachtete ihn dabei. Seine Muskeln, die sich bei jeder Bewegung abzeichneten, schienen aus rauer Seide zu bestehen. Der Kompass lag auf seinem Handteller und wirkte darin klein und altmodisch. Thalia rückte näher und nahm ihm den Kompass ab. Als ihre Finger sich berührten, unterdrückte sie ein Beben.
Sie klappte den Deckel auf und zeigte ihm das Innere des Kompasses. Ihre Gedanken wanderten zu ihrem Vater, der ihn ihr mit stolzem Blick in Urga überreicht hatte. Noch gehörte sie nicht zu den Klingen, doch der Kompass schützte sie und verschaffte ihr Ansehen.
Als der Hauptmann sich vorbeugte, um besser sehen zu können, nahm sie den Geruch seiner vom Feuer gewärmten Haut und seiner feuchten Haare wahr. Sein Atem verband sich mit ihrem.
Mit gleichgültiger Stimme erklärte sie: »Die Klingen, die die vier Himmelsrichtungen markieren, symbolisieren das Ausmaß unserer Mission: Wir müssen Quellen auf der ganzen Welt schützen. Die Rose in der Mitte des Kompasses gebietet uns, auf unserer Mission gnädig und barmherzig zu sein.« Thalia schloss den Kompass und strich mit dem Daumen über die Schrift, die in den Deckel eingraviert war. »Diese Nachrichten stammen von unseren Vorfahren. Sie ermahnen uns, anständig zu handeln und der … Versuchung zu widerstehen.« Das Wort brachte sie etwas aus dem Konzept, denn genau in diesem Augenblick kämpfte sie mit einer schweren Versuchung. Der Hauptmann und sie saßen jetzt sehr dicht beieinander. Sie müsste sich nur etwas vorbeugen und könnte mit ihren Lippen die Stelle an seinem Hals berühren, an der sein Puls kräftig und regelmäßig unter seiner Haut pochte.
»Alle Klingen der Rose tragen diesen Kompass
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