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Die Klingen der Rose: Jenseits des Horizonts (German Edition)

Die Klingen der Rose: Jenseits des Horizonts (German Edition)

Titel: Die Klingen der Rose: Jenseits des Horizonts (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Zoe Archer
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im Geiste den gesamten Inhalt des Liedes durch. Darin verbarg sich eine Nachricht. So viel war klar.
    Er begann zu sprechen, hielt dann aber inne.
    »Kommen Sie schon Hauptmann«, schalt sie ihn. »Nicht so schüchtern. Schließlich haben wir schon nackt in Decken gehüllt zusammengesessen. Sie wollten etwas sagen. Erzählen Sie.«
    Er wollte nicht daran erinnert werden. Allein das Wort »nackt« aus ihrem Mund zu hören, bedeutete einen Härtetest für seine Willenskraft.
    Als er nichts sagte, seufzte Thalia, blickte zur Decke hinauf und wandte sich an den Himmel. »Er teilt nach allen Seiten Befehle aus, kann selbst aber offenbar keinen befolgen. Wenn das hier die Armee wäre, hätte man ihn wegen Ungehorsams entlassen.« Sie wandte sich wieder an Gabriel. »Was, wenn ich Ihr befehlshabender Offizier wäre und Ihnen befehle zu sprechen?«
    »Wenn ich meinem befehlshabenden Offizier sagen würde, was ich jetzt denke, würde er mich in ein Irrenhaus stecken«, erklärte Gabriel sardonisch.
    »Vor allem, wenn Sie eine rätselhafte, singende Steinschildkröte und eine sich in Luft auflösende Schamaninnen erwähnen würden«, entgegnete sie.
    Da hatte sie recht. Magische Gegenstände, dämonische Wikingerstürme – nichts, was es nicht gab. Er holte tief Luft und gestand schließlich: »Ich wollte sagen, dass ich, als die Schamanin angefangen hat zu singen … « Reden gehörte noch nie zu seinen Stärken, und jetzt fiel es ihm erst recht schwer, die richtigen Worte zu finden. »Es war, als könnte ich das Lied sehen .«
    Anstatt ihn auszulachen, nickte Thalia nachdenklich. Es gefiel ihm, dass sie seine Aussage akzeptierte. Mehr als ihm gut tat. »Sehen?«, wiederholte sie. »Inwiefern?«
    »Ich habe gesehen … « Er suchte nach Worten, mit denen er die seltsame, unfassbare Erfahrung beschreiben konnte. »Das Land hat sich um mich herum ausgedehnt.«
    Thalias hübsches Gesicht drückte Bewunderung und Verständnis aus. »Es gibt in der mongolischen Tradition viele Lieder, die wie das Land selbst klingen. Die Noten und Töne spiegeln die Landschaft wider. Flüsse, Steppen, Berge. Man kann einen Ort tatsächlich singen .«
    »Das stimmt«, bestätigte Batu und trat zu ihnen. Er wirkte noch immer verärgert, doch nicht so sehr, dass er ihnen nicht half. »Ich zeige es euch.« Er summte ein paar Töne und überraschte Gabriel mit seinem Talent. In seiner Melodie hörte Gabriel, wie das Wasser über die Felsen floss und in einen großen See hinabstürzte.
    In dem Moment öffnete ein Mönch die Tür und starrte sie an. Er sagte ein paar strenge Worte zu Batu und Thalia und schloss die Tür wieder. Batu wirkte verlegen.
    »Darf ich raten?«, fragte Gabriel trocken. »Wir waren zu laut. In Kasernen gibt es deshalb häufig Beschwerden.« Batu zuckte bloß mit den Schultern und war weiterhin sauer auf Gabriel. Wenn Thalia nicht gewesen wäre, hätte Gabriel den Mann am Kragen gepackt und aus ihm herausgeschüttelt, was ihn so aufbrachte. Und dann würden sie das mit den Fäusten regeln. So machte man das in der Armee, und es funktionierte gut. Es gab keinen Groll.
    »Was du da eben gesungen hast«, fuhr Gabriel fort, »klang wie … wie ein Wasserfall.«
    »Ja«, bestätigte Batu steif. »In der Nähe meines Geburtsortes gibt es einen wunderschönen Wasserfall, und den habe ich gesungen.«
    »Können Sie sich erinnern, wonach das Lied der Schamanin geklungen hat?«, fragte Thalia Gabriel. Als Gabriel nickte, löste sie ihre Beine und kroch auf Händen und Knien zu dem Gepäck. Gabriel versuchte, auf seine Hände zu starren anstatt auf ihr wohlgeformtes, geschmeidiges Hinterteil, das sie verführerisch durch den Raum schwang. Doch es gelang ihm nur schlecht. Ein Mann konnte nicht anders als zu glotzen, es sei denn, er lag tot und begraben tief in der Erde. Als Batu daraufhin erneut Gabriel anstarrte, verstand er endlich. Erstaunlich, dass er dazu so lange gebraucht hatte.
    Gabriel überragte Batu ein ganzes Stück und wog deutlich mehr. Es war kein gerechter Kampf, sollte es je dazu kommen. Doch Gabriel wollte Thalia trotz seiner wachsenden Lust nicht wehtun, und darin stimmten Batu und er überein.
    Thalia reichte Gabriel etwas Papier und ein Stück Kohle. Sie schien sein Starren ebenso wenig bemerkt zu haben wie die stummen Bemühungen ihres Dieners, sie zu schützen. »Versuchen Sie zu zeichnen, was Sie bei dem Lied empfunden haben«, drängte sie.
    »Ein Pavian ohne Arme kann besser zeichnen als ich«, wandte Gabriel

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