Die Klingen der Rose: Jenseits des Horizonts (German Edition)
Haut strich, errötete sie.
Gabriel ließ ihre Hand los und brachte etwas Abstand zwischen ihre Pferde, sonst würde er sie noch aus dem Sattel reißen und tun, was sein Herz und sein Körper verlangten – sie erobern.
Noch nie war Gabriel einer Frau wie ihr begegnet. Nachdem sich das Leben gerade so verdammt angenehm gestaltete, war er zwar nicht unbedingt scharf auf den letzten Appell, doch sein eigener Tod ängstigte ihn weniger als der Gedanke, dass sie in Gefahr schwebte. Nun, er musste einfach doppelt aufpassen.
Aber auch sie besaß scharfe Augen. »Da ist es«, sagte Thalia und deutete auf die breite Ebene vor ihnen. Sie klang etwas atemlos, was ihn erfreute, wenn auch nicht befriedigte. »Es ist wunderschön.«
Wie Catullus Graves’ Weitsichtapparatur gezeigt hatte, lagen dort beinahe einhundert Felder voll kleiner roter Blumen. In ihrer Mitte befand sich ein großes Lager aus Gers. Die Pflanzen an sich schienen nicht außergewöhnlich. Hier in der Mongolei hatte Gabriel sie bereits öfter gesehen, aber sie waren stets nur vereinzelt aufgetreten, nie in dieser Fülle. Abgesehen davon, dass sie etwas über die Jahreszeit, die Qualität des Landes oder darüber aussagten, ob Wasser für die Pferde in der Nähe zu finden war, wären sie einem Soldaten nicht weiter aufgefallen. Erst nach Thalias Bemerkung sah er die strahlende Schönheit der Blumen, die zwischen saftigen grünen Wiesen und unter dem blauen Himmel einen brennenden Teppich bildeten.
Allerdings blieb keine Zeit für poetische Gedanken. »Folgen diese Nomaden den Blumen, oder ist es umgekehrt?«, fragte er.
»Das werden wir herausfinden«, erwiderte Thalia. »Wir können aber nicht einfach anhalten und die Blumen untersuchen, ohne dem Stamm erst unseren Respekt zu erweisen. Das wäre verdächtig und unhöflich.«
»Ich kenne mich mit den mongolischen Sitten nicht aus«, bekannte Gabriel.
»Machen Sie sich keine Sorgen«, beruhigte sie ihn. »Folgen Sie einfach meinem Beispiel.«
Seit er zum Hauptmann befördert worden war, hatte ihm selten jemand Vorschriften gemacht, schon gar keine Frau. Doch hier in der Mongolei war er fremd, und es schien am klügsten, Thalia die Führung zu überlassen. Fürs Erste.
Als sie in das Lager ritten, begegneten sie den unverhohlen neugierigen Blicken der dort lebenden Menschen. Die Männer, die Vieh und Pferde hüteten, beobachteten sie vom Sattel aus. Die Frauen hielten in ihrer Arbeit inne, um sie anzustarren. Und die Kinder rannten wie eine Schar Enten hinter ihnen her, drängten sich aneinander und beobachteten sie mit neugierigen Blicken. Fast ausnahmslos starrten sie Gabriel an, nicht Thalia oder Batu. Doch ihr Interesse beunruhigte Gabriel nicht. Er war es gewohnt, der erste weiße Mann zu sein, den Einheimische zu Gesicht bekamen. Manche Soldaten gewöhnten sich nie daran oder hatten das Gefühl, aufgrund ihrer Hautfarbe etwas Besseres zu sein. Gabriel gehörte nicht zu ihnen. Er begegnete jedem Blick mit einem freundlichen Nicken.
»Das ist das Ger des Anführers«, erklärte Thalia, als sie auf das größte Zelt zuritten. »Wir sollten zuerst mit ihm sprechen.«
Sie wurden von einem bellenden Hund empfangen, der wachsam vor dem Ger auf und ab rannte. Thalia rief: »Nokhoi Khor!« Ein kleines Mädchen kam heraus und packte den Hund am Nacken, was das Tier nicht davon abhielt weiterzubellen. Als Thalia, Gabriel und Batu abstiegen, trat ein Junge hinter dem Zelt hervor und übernahm die Zügel der Pferde. Er sprach einen Augenblick mit Thalia, bevor sie ihren Begleitern bedeutete, ihr ins Innere zu folgen.
Es dauerte einen Moment, bis sich Gabriels Augen an die Dunkelheit gewöhnt hatten. Das einzige Licht fiel durch eine Öffnung im Dach des Zeltes. Zunächst musste er sich auf seine Ohren verlassen. Er hörte, wie Thalia Höflichkeiten mit einem Mann austauschte, dass jemand Essen zubereitete und zwei Kinder auf dem Boden spielten. Dann lichtete sich der Schleier vor Gabriels Augen, und er sah sich um. Seit Urga hatte er kein Ger mehr betreten, und er war neugierig, was ihn erwartete. Und überrascht, doch aus anderen Gründen, als er vermutete hatte.
»Ja«, sagte Thalia leise neben ihm, als sie seine Frage erahnte. »Es ist identisch. Alle Gers gleichen einander haargenau. Der Ofen befindet sich in der Mitte, während die Tür stets nach Süden zeigt.« Sie deutete zur linken Seite des Zeltes, wo eine Frau in einem köstlich duftenden Kessel mit Milch rührte. »Das ist die Seite der Frauen.
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