Die Kluft: Roman (German Edition)
Ewigkeiten Menschen lebten, die sich langsam entwickelten – von Wesen, die wir nicht kennen, hin zu … Immerhin ist es uns bekannt, dass sie sich selbst das Volk nannten, als könnte es auf der Welt kein anderes geben. Doch das ist ganz normal, wenn ein Volk in den Kinderschuhen steckt.
In unserer (vergleichsweise) jüngeren Zeit erleben wir gerade, wie im alten Griechenland kahle, felsige Hänge entstehen, wo vorher dichter Wald stand. Woher wollen wir wissen, dass das gesegnete Land jener Menschen der Vorzeit mittlerweile nicht ganz aus felsigem, kantigem Gestein besteht und durchaus in Reichweite unserer Seeleute liegt?
An dem Punkt, den wir mit unserem Bericht nun erreicht haben, bestanden mehrere unabhängige Gemeinwesen, und zwar nicht an der Küste, sondern in den Wäldern im Landesinneren, immer in der Nähe von Bächen und Flüssen. Manchmal wurde gekämpft. Worum? Um Nahrung sicherlich nicht – Nahrung gab es in den Wäldern reichlich. Nein, man kämpfte um Raum. Große Teile des Waldes waren Sumpfland, Moor, denn der Lärm, der große Sturm, hatte so mühelos Bäume gefällt, wie wir mit einem Hauch Samen von einem Stängel pusten. Alte, verrottende Baumstümpfe lagen in unsauberem Wasser; aus diesem Grund gab es von dem begehrten Wald nicht genug für alle. Auch das erinnert daran, dass hier nicht von kleinen Gruppen, sondern von einer beträchtlichen Anzahl Menschen die Rede ist.
Die Anführer der verschiedenen Gemeinwesen bekämpften einander bisweilen, und wenn es Opfer gab, sandten die Frauen Klagen und Ermahnungen – und Horsa war es, der den Kämpfen ein Ende machte. Wir wissen von ihm, dass er tapfer und ein guter Anführer war, aber vielleicht gab es auch mehrere Horsas, die einander ablösten, wobei Horsa einfach das Wort für den obersten Anführer war.
An der weiblichen Küste regierte mittlerweile Maronna, allerdings nicht so schläfrig wie die Alten Weiblichen Wesen, sondern energisch und – Andeutungen nach – oft auch ungeduldig. Es war sicher jene Maronna, die sich durch Moor und Sümpfe in den Teil des Waldes begab, wo Horsa regierte, und ihrer Schelte ist es zu verdanken, dass die Kämpfe ein Ende fanden. Wie angedeutet wurde, genossen die Männer die Kämpfe und maßen ihre taktischen Fähigkeiten aneinander. Wer verletzt war, wurde zur Genesung an die Küste der Frauen gebracht.
Bevor Horsa zu seiner Reise aufbrach, kam es zwischen ihm und Maronna zu einem heftigen Streit. Frühere Chroniken besagten, dass es sich um ein einziges Ereignis handelte, das als »Männerzorn« oder als »Frauenzorn« bezeichnet wird, je nachdem, welchem Geschlecht der Sprecher angehörte. Den Zorn gab es auf jeden Fall, doch wurde er falsch beschrieben und falsch verstanden, nämlich als eine einzige, entscheidende Auseinandersetzung. Ich erinnere mich an die Befriedigung bei der Erkenntnis – für einen Historiker kommt nichts dem Augenblick gleich, in dem er die Wahrheit erkennt –, dass sich eine Reihe von Meinungsverschiedenheiten, die keine Seite ohne Weiteres vergeben und vergessen konnte, wohl zu einem Streit gesteigert hatten. Auf beiden Seiten hatte es immer wieder Klagen gegeben, und all die unterschiedlichen Darstellungen beschrieben dasselbe, nämlich die überflüssige Steigerung jenes »Zorns«. »Natürlich, wieso habe ich das nicht gleich erkannt.« Doch schließlich kommt man selten genug zu Einsichten, die so klar und eindeutig sind, dass eine Überzeugung daraus erwächst. Eine Schwierigkeit besteht darin, dass die Darstellung der Männer so knapp ist: Wenn Maronna, die ihre Klagen bereits den Mädchen, die uns besuchten, mit auf den Weg gegeben hatte, schließlich selbst erschien, sagte sie immer dasselbe. Und was die Mädchen uns überbrachten, war auch immer dasselbe: Die Männer seien unverantwortlich, gedankenlos und achtlos, wenn es um unser Leben und insbesondere um die Sicherheit der Jungen gehe. Für uns Männer sei es selbstverständlich, dass die Frauen in Ordnung brächten, was wir angerichtet hätten. Mehr war es nach Darstellung der Männer tatsächlich nicht. »Und so beschloss Horsa, fortzugehen und sich einen Platz weit weg von Maronna zu suchen, an den sie uns nicht ohne Weiteres folgen konnte.«
Ich glaube, das Folgende bringt die Sache auf den Punkt:
Als ich vor ein paar Tagen mit Felix, meinem Sklaven, der die schönen Statuen von Diana und Artemis gemacht hat, spazieren ging, erwähnte ich am Hang eines bestimmten Hügels, ich hätte oft
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