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Die Kluft: Roman (German Edition)

Die Kluft: Roman (German Edition)

Titel: Die Kluft: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Doris Lessing
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fühlten, sobald sie sich von der Küste der Frauen davongeschlichen hatten, bedeutete diese Flucht, »zu den Bäumen zu gehen«. An der Küste gab es kaum Bäume. Es war wunderbar, eine Gruppe Jungen ankommen zu sehen, die den Frauen entwichen waren, obwohl diese sie noch ein wenig bei sich behalten wollten. Wenn sie die große Waldlichtung sahen, staunten sie, wie weitläufig alles war, und kletterten sofort auf die Bäume. Wald bedeckte die ganze Insel – wenn es denn eine war – bis auf einige Stellen mit Moor- oder Sumpfland. Es hatte praktische Vorteile, sich in die Baumwipfel zurückzuziehen: Einige Raubtiere konnten den riesigen Baldachin aus Ästen und Blättern nicht oder nur unter Schwierigkeiten erklimmen. Die kleineren Jungen waren sicherer als die größeren, die vor allem auf dem Boden lebten und zur Jagd gingen.
    Berichten zufolge lebten manche Gruppen von Männern ganz in den Baumwipfeln, doch über Horsas Leute wird das nicht gesagt.
    Wenn die Jungen ungefähr sieben und älter waren, verbrachten sie die meiste Zeit in den Baumwipfeln. Welcher Junge kann schon den Bäumen in einem richtigen Wald widerstehen? Es war ein schönes Leben. Sie kamen auf den Erdboden hinunter, wenn sie an Mahlzeiten, Gelagen oder Ausflügen teilnehmen wollten. Sie bauten sich in den Bäumen Plattformen und allerhand Flaschenzüge und Schaukeln und Stege. Dieses Leben war eine Übung in Selbstvertrauen und körperlicher Geschicklichkeit. Natürlich kam es zu Unfällen, ein weiterer Grund für die lästigen Klagen der Frauen. Sie sagten, wenn die Jungen stürzten und sich ein Bein oder einen Arm brächen, würden sie von den Männern zur Behandlung zurück an die Küste der Frauen geschickt. Ob die Männer nicht wenigstens auf die kleinen Jungen aufpassen könnten, um die vielen Stürze zu verhindern – und die Todesfälle, zu denen es gekommen war? Die Männer fanden dergleichen völlig belanglos. Natürlich begäben sich Jungen in Gefahr, und dabei komme es zwangsläufig zu Unfällen. Was diese seltsame Sorge der Frauen um Sicherheit solle?
    Eine weitere Auseinandersetzung zwischen Maronna und Horsa, die sie voller Zorn, Vorwürfe und Bitterkeit führten. Doch die Frauen konnten nichts tun. Die Jungen rannten einfach davon und schlossen sich den Männern an, sobald sie das Alter von sieben Jahren erreichten, spätestens.
    Alle männlichen Wesen waren einmal in den Wald gezogen – jeder Mann erinnerte sich an den übervollen, beengten Küstenstrich der Frauen.
    Horsa wies darauf hin, dass es viele verschiedene Küstenstriche in der Nähe gab und dass die Frauen nicht dort bleiben mussten, wo sie waren. Ja, die Höhlen waren bequem und die Männer mussten zugeben, eine gewisse Sympathie für sie zu hegen, weil die Höhlen über dem Meer Gegenstand ihrer frühesten Erinnerungen waren. Doch die Klippen waren nicht nur dort aus weichem Sandstein und leicht auszuhöhlen. Horsa sagte, die Männer würden den Frauen ein neues Zuhause bauen, das dann in jeder Hinsicht so gut wie das alte, aber viel geräumiger sei. Aber er hatte nicht damit gerechnet, wie stur sie am Gewohnten, Bekannten festhielten. »Ihr« Küstenstrich, so sagten die Frauen, sei dort, wo sie alle herstammten, Spalten und männliche Wesen. Und von dort würden sie nicht weggehen.
    Maronna erfuhr nicht von Horsa selbst, dass er eine Expedition plante, sie wurde durch das Geplauder der Mädchen in Aufregung versetzt. Ob sie mit Horsa gehen sollten? Vielleicht ein kurzes Stück? Maronna begriff nicht sofort, dass der Aufbruch unmittelbar bevorstand, als eines der Mädchen fragte, ob sie, Maronna, mitgehen werde. Endlich, viel zu spät, wurde ihr klar, dass mehrere Mädchen losziehen würden und außerdem alle kleinen Jungen, die sich gerade bei Horsa aufhielten. Sie war entsetzt, als sie daran dachte, was das bedeutete. Dass Horsa über die Folgen gar nicht nachgedacht hatte, war ihr zunächst nicht bewusst. Für langfristige Planungen war er nun einmal nicht besonders begabt, doch um nur eines der Probleme zu erwähnen: Wenn die Mädchen mitgingen, würden sie schwanger werden und den Reisenden zur Last fallen. Deswegen glaubte Maronna zuerst, dass Horsa nur einen kurzen Ausflug plante.
    Als schließlich einige Mädchen auf den Berggipfel stiegen, um nachzusehen, ob sich Männer im Tal aufhielten, sahen sie, dass unten am Fluss ein paar Jungen Fische fingen, weil sie den Adlern ein Festmahl bereiten und sie um ihren Schutz auf der Reise bitten

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