Die Knickerbocker Bande 30 - Im Reich des Geisterzaren
Dabei geschah es: Der Brustkorb des Russen zuckte, als das Lederetui das Hemd berührte. Axel fiel vor Schreck nach hinten und rang nach Luft. Der Mann war nicht tot. Er schien nur in einem sehr, sehr tiefen Schlaf zu liegen.
So erschreckend die Entdeckung war, sie gab Axel neuen Mut. Vielleicht waren auch die anderen beiden Männer noch am Leben. Er krabbelte wie ein Käfer zu ihnen hin und näherte seine Wange ihren Nasenlöchern. Die beiden atmeten. Kein Zweifel. Der Junge spürte, wie in diesem Moment die Starre aus seinem Körper wich. Er konnte sich plötzlich wieder besser bewegen und spürte eine ungeheure Erleichterung. Er wagte es sogar, in den Sakkotaschen der anderen Männer nach deren Ausweisen zu suchen, und fand sie auch. Beide hatten russische Namen. Einer kam aus Rom und war Italiener. Der andere war in Frankreich zu Hause, in Paris. In seinem Sarg fand der Junge noch etwas. Auf den ersten Blick sah es ekelig und grausig aus. Es war ein riesiger Hautfetzen mit Haaren daran. Der Juniordetektiv wagte nicht, ihn anzufassen. Er richtete die Taschenlampe darauf und holte ein Taschentuch aus seiner Hose. Er legte es wie eine Art Handschuh um seine Finger und packte damit den Hautfetzen. Das Ding wurde immer länger und länger, als der Knickerbocker daran zog. Der Junge spürte, wie sich sein Magen zusammenkrampfte und ihm übel wurde.
Aber dann... stieg ihm ein Geruch in die Nase. Der Hautfetzen roch... nach Gummi. Axel leuchtete ihn abermals an und musterte ihn. Es handelte sich um eine Gummimaske mit Perücke. Sie war dem Gesicht des Franzosen nachgeformt. Wer sie trug, konnte für den Fremden im Sarg gehalten werden. Das Material war so gut, daß es täuschend echt und lebendig aussah.
Erst jetzt kam Axel auf die Idee, daß es einen Ausgang aus diesem Raum geben mußte. Er versuchte sich aufzurichten, schaffte es aber nicht. Obwohl ihn seine Kräfte wieder zu verlassen begannen, beschloß er, sich genauer umzusehen. Er leuchtete den Raum ab, bis er eine Tür gefunden hatte. Er drückte die Schnalle nieder und gelangte in einen engen, düsteren Gang. Axel wandte sich nach rechts. Das einzige, was er sehen konnte, waren weitere Türen. Auf der linken Seite stand eine offen: In dem Raum dahinter war alles schwarz. Selbst das Licht seiner Taschenlampe änderte daran nichts. Aber war das nicht... Stoff?
Der Raum war voll mit Stoff. In Axel kehrte eine Erinnerung zurück. Das Theater war mit Stoff behängt gewesen. Der Geisterzar... Da war etwas geschehen! Das Herz des Jungen begann heftig zu schlagen. Er spürte das laute Pochen in seiner Brust und wußte, daß er wegmußte. Aber wie und wohin?
Da! Wieder eine Tür, diesmal rechts. Auch sie war nicht versperrt. Er leuchtete in das Zimmer und erkannte ein Waschbecken, ein Bett und einen Schminktisch, auf dem ein Telefon stand. Das war es! Jemanden anrufen... Aber wen? Wen schon, Dominik natürlich! Axel kroch zu dem Stuhl am Schminktisch und zog sich an ihm hoch. Das Sitzen bereitete ihm große Schwierigkeiten, da ihm zusehends schwindliger wurde. Er hob den Hörer ab und kramte in seinem Hirn nach Dominiks Telefonnummer. Langsam, Stück für Stück, erinnerte er sich und wählte.
Hinter Axel wurde in einiger Entfernung eine Tür aufgeschlossen, und jemand betrat den Bühnenraum. Der Junge war so beschäftigt und keuchte so laut, daß er es nicht bemerkte. Schritte näherten sich.
Mist! Aus dem Hörer kam nur ein Tuten. Mußte man in öffentlichen Gebäuden nicht manchmal eine Null vor der eigentlichen Nummer wählen, um eine freie Leitung zu bekommen?
Die Schritte waren sehr regelmäßig und wurden lauter. Jemand kam direkt auf die Garderobe zu, in der sich Axel befand. Der Knickerbocker hatte es nochmals versucht, und seine Freude wuchs, als das Freizeichen ertönte. „Heb ab... heb ab... bitte!“ flehte er innerlich.
Der Unbekannte hatte die offene Garderobentür erreicht und sah mit einem Blick, was los war. „Hallo, hier sind die Kaschas!“ meldete sich der Anrufbeantworter. Axel brach vor Enttäuschung in Tränen aus, was ihm sonst nie passierte. Noch immer hatte er nicht bemerkt, daß er nicht allein war. Hinter ihm zog jemand eine kleine Flasche und eine Spritze aus der Tasche. „Leider sind wir nicht zu Hause und können Ihren Anruf nicht persönlich entgegennehmen, aber sprechen Sie bitte auf unser Tonband!“ forderte die tiefe Stimme von Dominiks Vater den Anrufer auf. „Hallo, Dominik, ich bin es! Axel!“ Der Knickerbocker
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