Die Knochenfrau
Innenstadt, zu dem Laden, in dem er seit Jahren als Barkeeper arbeitete. Gewöhnlich war der Chef um diese Zeit schon da.
„Hi Lukas, du bist 'n bisschen früh.”
El Cheffe machte sich gerade mit einem Schraubenzieher an einer Steckdose zu schaffen. Sie sah gefährlich aus, war ein bisschen verschmort.
„Ich muss was mit dir bereden”, sagte Lukas.
„Hol dir erst mal 'n Bier. Ich muss mich hier konzentrieren. Die ganze Elektrik ist totaler Mist, irgendwann brennt uns noch der Laden ab.”
Lukas ging hinter die Bar und nahm sich eine Flasche Mineralwasser. Es lag ein paar Monate zurück, dass er so früh hier gewesen war. Wie schäbig der Laden doch bei Tageslicht aussah. Eine schlampig angestrichene Betonhöhle mit bunten Glühbirnen und Tischen. Der Chef stand auf und rieb sich die Hände.
„Okay, was kann ich tun für meinen besten Mann?”
Lukas trank einen Schluck Mineralwasser.
„Ich muss auf unbestimmte Zeit weg, ich kann also erst mal nicht arbeiten.”
Der Gesichtsausdruck des Chefs kippte ins Ernsthafte.
„Und wann musst du weg?”
„Jetzt gleich.”
„Scheiße! Hättest du das nicht früher ankündigen können. Im Moment brauch ich jeden Mann. Steffi ist auch schon seit 'ner Woche krank.”
Lukas nahm einen Schluck von dem eiskalten Wasser und es tat ihm an den Zähnen weh. Er schaute seinem Chef in die Augen. Er sollte begreifen, dass es ihm ernst war.
„Ich habe es nicht früher gewusst. Aber ich muss auf jeden Fall weg ... es ist wirklich wichtig.”
„Was Gesundheitliches? Musst du ins Krankenhaus?”
„Nee, mach dir mal keine Sorgen. Das wäre jetzt zu kompliziert zu erklären. Ich weiß, dass es blöd für dich ist. Mir wäre es ja auch lieber, wenn ich hierbleiben könnte.”
„Und wie lang bist du weg?”
„Kann ich noch nicht sagen. Kann ich echt nicht sagen.”
Der Chef zog die Brauen hoch und verschränkte die Arme vor der Brust. Er hatte in den letzten Jahren einen Bauch bekommen und die Pose war ein wenig unvorteilhaft.
„Geht's vielleicht noch 'n bisschen geheimnisvoller? Langsam werd ich echt neugierig.”
Lukas trank die Flasche aus und stellte sie auf den Tresen.
„Das alles ist eine lange Geschichte. Vielleicht erzähl ich sie dir mal. Du hältst mich dann zwar für geistesgestört aber was soll's ... ich muss jetzt langsam los.”
„Okay, meld dich, wenn du wieder in der Stadt bist. Vielleicht hab ich ja dann noch Arbeit für dich … vielleicht aber auch nicht. Kriegst du noch Geld?”
„Nö”, sagte Lukas. Und dann: „Tut mir echt leid, ich weiß dass es blöd für dich ist.”
Er verließ das Lokal und holte sich fünfzig Meter weiter einen Döner. Als er das Ding gegessen hatte, da rief er Paula an.
„Hi, ich bin's ... Lukas.”
„Was gibt's?”, fragte seine Freundin. War sie überhaupt seine Freundin? Was verdammt war sie?
„Ich muss für einige Zeit weg aus Freiburg ... hab was in Rothenbach zu tun.”
„Ich dachte, du hasst Rothenbach.”
„Tu ich auch ... muss aber sein.”
„Okay, dann viel Spaß in dem Kaff.”
Lukas merkte, wie in ihm die Abneigung hochstieg. Manchmal hasste er diese Frau.
„Gibt es sonst noch was?”, fragte sie.
„Na ja ... ich weiß noch nicht, wie lange ich weg bin. Und ich dachte, wir sehen uns vielleicht noch, bevor ich fahre.”
Deutlich hörte er ihr genervtes Ausatmen.
„Du Lukas, ich habe im Moment echt viel zu tun.”
Lukas zögerte. Dann sagte er doch etwas, es kam ganz spontan.
„Ach leck mich doch am Arsch!”
Er drückte sie weg und nahm sich im selben Moment vor, die Beziehung als beendet zu betrachten. Er liebte sie sowieso nicht mehr. Und auf den Sex würde er verzichten können. Etwa fünfzehn Minuten, während er zurück zu seiner Wohnung lief, hoffte er noch, sie würde ihn anrufen. Aber sie tat es nicht. Und er auch nicht. Die Sache war vorbei.
*
Als Lukas seine Wohnungstür aufschloss, da kam ihm die Idee, es einfach sein zu lassen, sich einfach hier zu verkriechen. Bier, Couch und Fernseher. Ab und zu ein bisschen lesen. Oder Videospiele. Videospiele waren gute, professionelle Ablenkung. Einfach ein paar Tage warten, einfach nur rumhängen und alles vergessen. Er wollte, wollte und wollte nicht dorthin zurück. Nicht zurück nach scheiß Rothenbach!
Lukas gab sich einen Ruck, machte den Computer an und suchte die Telefonnummer heraus, die zu der Adresse und zu dem Namen gehörte, die Frau Schneider ihm diktiert hatte. Er atmete tief durch und wählte die
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