Die Knochenfrau
stellen, da hat er mir gesagt, ich soll mir Hilfe von einem Psychologen holen. Niemand hat uns geglaubt.
Irgendwann haben wir dann aufgehört, anderen Leuten davon zu erzählen. Ich hatte schon Angst, sie holen uns eines Tages ab und stecken mich in die Irrenanstalt und Wilma ins Heim. Manchmal denke ich, dass wir wirklich verrückt sind. Warum hören die Nachbarn nicht diese Geräusche, also das Lachen der Kinder und das Bellen des Hundes? Warum kann man das nicht auf Tonband aufnehmen? Ist das alles nur bei uns im Kopf?
Aber dann denke ich daran, was du uns erzählt hast und was dein Bruder gesagt hat. Und natürlich an diesen alten Bauern, der uns ja geglaubt hat. Und natürlich sehen wir, dass etwas mit dem Blut passiert, das wir immer hinstellen. Ich habe zwei Fotos davon gemacht, sie sind in der Mappe. Zumindest das kann also keine Einbildung sein.
Lukas, wir wissen nicht, worum wir dich bitten sollen. Vielleicht kannst du das mit dem Blut fortführen. Oder du findest jemanden, der dir glaubt. Uns ist es leider nicht gelungen. Bitte sei vorsichtig und pass auf, mit wem du redest. Ich will nicht, dass sie dich für verrückt halten.
Das Geld in dem Umschlag ist für dich, damit kommst du vielleicht eine Zeit aus. Es tut mir leid dass wir dir nicht mehr sagen können. Ich hoffe, dass wir uns eines Tages wiedersehen. Du und dein Bruder, ihr wart fast wie Kinder für uns. Wir hoffen, Daniel geht es gut und er hat den Schreck von damals gut überwunden.
Franz und Wilma Schneider, Rothenbach am 23. März 2007
Lukas starrte noch eine Minute auf das Blatt Papier. Dann legte er es weg, kratzte sich am Kopf und rieb sich die Hände. Es war kühl hier drin, er musste die Heizung aufdrehen. Das Ticken der Küchenuhr kam ihm plötzlich sehr laut vor, fast aggressiv. Es schien mit jedem Schlag die Geschwindigkeit zu steigern.
Lukas nahm die Plastikmappe und zog die beiden Fotografien heraus. Einfache 10x15-Abzüge, wie man sie in Drogeriemärkten machen lassen kann. Das eine Foto zeigte eindeutig eine Schale voller Blut. Herr Schneider hatte es mit Blitzlicht aufgenommen und die Oberfläche der Flüssigkeit leuchtete hellrot. Das zweite Foto – es war mit einer Büroklammer hinter das andere geheftet – zeigte dieselbe Schüssel, allerdings mit einer schwärzlichen Masse darin. Das war also das Blut, so wie es am nächsten Morgen aussah … also an den Tagen, nachdem Herr Schneider es in den Wald gestellt hatte. Was zum Teufel soll ich damit anfangen? Was hat das zu bedeuten? In was für eine Scheiße gerate ich da rein?
Lukas legte die beiden Fotos nebeneinander auf den Tisch, lehnte sich im Küchenstuhl zurück und betrachtete die vergilbte Blümchentapete. Nach zwei Minuten stand er auf, nahm sich aus einem der Hängeschränke ein Glas und machte zwei Schritte zur Spüle, um es mit kaltem Wasser zu füllen.
Lukas erschrak, als er es sah. Im Spülbecken stand das Gefäß, das er gerade auf den Fotos gesehen hatte. Es war mit Wasser gefüllt aber unter dem Wasserspiegel glänzte die dicke, schwarze Masse, die er auf dem Foto gesehen hatte. Eine saubere Linie. Oben das klare Wasser, unten die schwarze Masse.
Lukas zögerte einige Sekunden, dann steckte er den Zeigefinger seiner rechten Hand in die Schüssel und befühlte das Zeug. Ein zähflüssiger Schleim … allerdings nicht klebrig. Er drückte eine Mulde in die schwarze Masse, zog dann seinen Finger heraus und roch daran. Schnell drehte er den Hahn auf und wusch sich mit Spülmittel die Hände. Lukas wusste nicht, wie ein verwesender Körper roch, aber die Richtung stimmte. Es war ekelhaft. Und das, obwohl sein Finger völlig sauber aussah, das Zeug war ja nicht klebrig, es war ja nichts haften geblieben. Lukas roch ein weiteres Mal an seinem Finger und diesmal nahm er nur den chemisch-penetranten Apfelgeruch des Spülmittels wahr. Das war besser. Wie musste erst diese schwarze Masse selbst riechen?
Lukas öffnete alle Schubladen der kleinen Einbauküche und fand schließlich eine Rolle Frischhaltebeutel. Er hielt die Luft an und packte mit einem Esslöffel einen Klumpen der schwarzen Masse in einen der Beutel, knotete den Beutel mehrfach zu und legte ihn in das Eisfach des Kühlschranks. Vielleicht konnte er das Zeug an irgendein Labor schicken und so herausfinden, was mit dem Blut passiert war. War das überhaupt noch Blut?
Nachdem er den Beutel verstaut hatte, zog Lukas den Hahn am Spülbecken ganz nach rechts, wartete bis der Boiler
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