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Die Knochenfrau

Die Knochenfrau

Titel: Die Knochenfrau Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Oliver Susami
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jeden Fall musste er mehr über die dürre Frau heraus bekommen. Bisher wusste er nur, dass es sie gab. Und er wusste, dass sie imstande war, Menschen etwas vorzugaukeln, sie zu sich zu locken. So hatte sie es bei seinem Bruder getan und bei der Tochter der Schneiders. Und mit Sicherheit auch bei dem Jungen, den es vor einigen Stunden erst erwischt hatte.
    Wenn nun diese dürre Frau – also das Wesen, das Herr Schneider in seinem Brief so genannt hatte – nur eine Art Raubtier war, wie konnte dieses Vieh überleben, wenn es nur alle paar Jahre Beute machte? Und wieso wurden die Kinder angefallen, zerfleischt, aber nicht gefressen? Das alles passte nicht zu einem Raubtier. Also doch ein Dämon? Ein böser Geist?
    Lukas weigerte sich, daran zu glauben. Es gab da diese Halluzinationen, den Ameisenbären seines Bruders und die Kätzchen, die die Tochter der Schneiders gesehen hatte. Ganz sicher waren es nur Halluzinationen. Sein Bruder hatte erzählt, dass der Ameisenbär ganz plötzlich verschwunden war. Aber dann gab es noch ein materielles Wesen, dieses Ding, das seinen Bruder angefallen hatte, ihn aber nicht festhalten hatte können. War es zu schwach? War es zu langsam? Sein Bruder war damals weggerannt und obwohl er gerade erst sechs Jahre war, hatte es ihn nicht erwischt. Das war kein Wesen aus der Hölle, das war kein übermächtiger Dämon … das war etwas, das zu schwach war, einen Sechsjährigen zu überwältigen. Lukas stand auf, ging zu seiner Reisetasche, die immer noch unausgepackt im Flur stand, und zog einen zerknitterten Plastikrucksack heraus. In dem Rucksack lag ein dunkelrotes Regencape, eine Taschenlampe, eine Digitalkamera, ein Reserve-Akku und eine Karte von Rothenbach. Lukas packte zwei Äpfel dazu, eine Flasche Wasser, eine Tafel Schokolade und ein großes, stabil wirkendes Küchenmesser, das er in einer Schublade neben dem Herd gefunden hatte. Er zog sich seine Schuhe und seine Jacke an und ging nach draußen.
     
    *
     
    Der Typ hatte ein Gesicht wie ein nicht zu Ende gebackenes Brötchen. Oval, teigig, ausdruckslos. Er hatte nicht einmal richtige Augenbrauen.
    „Was kann ich für Sie tun?”, fragte das Brötchen.
    „Guten Tag, mein Name ist Lukas Kramer. Ich habe früher mal hier gewohnt.”
    „Ja und?”
    „Ich passe gerade auf das Haus der Schneiders auf. Und ich dachte, ich komm mal rüber und schau, wer jetzt hier wohnt.”
    Der Mann sagte überhaupt nichts. Aus dem muffigen Halbdunkel hinter ihm tauchte eine blasse Frau mit einem Vogelgesicht auf. Lukas lächelte sie an, aber sie schaute nur misstrauisch. Die Frau schien um die Vierzig zu sein, das Alter des Brötchenmannes konnte Lukas nicht schätzen.
    „Wir wohnen schon seit einigen Jahren hier”, sagte der Mann und brachte so etwas wie ein verkniffenes Lächeln zustande.
    „Nett haben Sie es”, log Lukas und warf einen Blick in den von dunklen Holzmöbeln verstopften Flur. „Haben Sie Kinder oder wohnen Sie alleine hier?”
    „Ich wüsste nicht, was Sie das anginge”, kam es leise aber scharf aus dem Flur. Die Vogelfrau hatte gesprochen und ihre Stimme klang tatsächlich menschlich.
    „Ich mein ja nur … das ist eine nette Gegend für Kinder, viel Natur drum herum.”
    Die beiden schauten ihn nur an. Der Mann klammerte sich ein wenig fester an die Haustür. Was verdammt bilden die sich ein? Dass ich gekommen bin, um das Haus zurück zu fordern? Auf einmal verspürte Lukas heftigen Widerwillen gegen diese verstockten Affen. Am liebsten hätte er dem Typen in den Bauch getreten.
    „Dann schönen Lebensabend noch”, sagte Lukas und drehte sich um. Im Weggehen murmelte er „Was für Vollidioten”. Es war ihm egal, ob sie es hörten. Erst als er zum Gartentor hinaus war, hörte er die Haustür schließen.
    Lukas ging zurück zum Haus der Schneiders, ging um das kleine Haus herum, drückte den alten Drahtzaun runter, stieg über das Metallgeflecht und suchte den Weg in den verdammten Wald. Er war sich sicher, dass die beiden Idioten, die ihn gerade wie einen lästigen Hausierer behandelt hatten, an irgendeinem Fenster hingen. Vielleicht auch jeder an seinem eigenen. Aber das war egal, sogar scheißegal.
    Lukas stapfte über den kleinen Wall und von irgendwo her wehte der scharfe Geruch von Bärlauch. Ein paar Schritte und Lukas stand vor dem kleinen, schon ein wenig zugewachsenem Waldweg, den sein Bruder damals gegangen war … und Jahrzehnte vorher die Tochter der Schneiders. Ein langer, gerader Korridor mit

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