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Die Knochenfrau

Die Knochenfrau

Titel: Die Knochenfrau Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Oliver Susami
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struppigen, grünen Wänden. Dies hier war kein besenreiner Nutzwald, keine Holzplantage. Das hier war ein Wald, den man größtenteils sich selbst überlassen hatte, ein kühles, dunkles Dickicht. Was immer sich hier versteckte, man würde es kaum finden. Vor allem nicht zu dieser Jahreszeit, nicht in diesem verdammten Blättergewirr. Lukas überlegte, wie dieses Entlaubungsmittel hieß, dass die Amis in Vietnam versprüht hatten. Irgendwas mit Orange … Clockwork Orange? Nein, das war dieser Film. Das Dreckszeug hieß Agent Orange.
    Lukas lief eine halbe Stunde in den Wald hinein. Immer ging es geradeaus. Ab und zu umkreiste ihn eine Stechmücke, angelockt von CO2 und frischem Schweiß. Wenn ihr Summen verstummte, dann schlug Lukas zu. Er erwischte fünf, nur eine erwischte ihn. Schlechte Quote für die Viecher.
    Langsam aber sicher löste sich der Weg auf, blasser Schotter wurde von Schlamm, Moos und großen, kantigen Steinen abgelöst. Würde der Weg jetzt eine Kurve machen, so überlegte Lukas, müsste er aufpassen, nicht einfach geradeaus weiter zu gehen. Er drehte sich um und hinter ihm war nur Grün. Trotzdem wusste er, wie er zurück kam. Es war ja ganz einfach, noch war der Weg ja zu erkennen, noch hatte der Wald das Menschengemachte nicht völlig überwuchert. Andererseits … es ging schnell, dass man sich verlief. Lukas blieb stehen, hielt den Atem an und lauschte angestrengt. Dumpf hörte er das Heulen eines Motors. Das Geräusch kam gleichmäßig, der Motor lief in einem festen Drehzahlbereich. Eine Kettensäge oder etwas in der Art. Holzfäller oder Kettensägenmörder … höchstwahrscheinlich Holzfäller.
    Lukas stapfte den immer schmaler werdenden Weg entlang. Farn streifte seine Beine und er hatte Angst, sich Zecken einzufangen. Die Biester gab es hier massenhaft und sie übertrugen Krankheiten. Immer wieder suchte er seine Hosenbeine nach schwarzen, sich bewegenden Punkten ab.
    Nach etwa dreihundert Metern wurde der Weg wieder breiter. Außerdem wurde er zum Flussbett. Ein kleines, klares Rinnsal schlängelte sich zwischen bemoosten Steinen hindurch. Das Wasser war so sauber, man hätte es trinken können. Mit einem weiten Satz sprang ein aufgescheuchter Laubfrosch in den Wald. Dann quakte es mutig aus dem Dickicht heraus.
    Breitbeinig stapfte Lukas voran. Er achtete darauf, nicht ins Wasser zu treten. Und dann sah er vor sich eine fast unwirkliche Helligkeit. Der Wald wich zurück und gab eine Lichtung frei. Lukas machte ein paar Schritte und blieb stehen. Der Flecken Welt, der vor ihm lag, war nur etwa dreißig Quadratmeter groß, eine kreisrunde, mit Gras bewachsene Lichtung. Ganz leise sagte Lukas „Wow”. Noch nie hatte er einen solchen Ort gesehen. Das Gras war von einem satten, hellen Grün … viel heller als normales Gras, fast eine Art Neongrün. Lukas hätte schwören können, dass es im Dunkeln leuchtete. Er bückte sich und ließ die Halme durch seine Finger gleiten. Sie waren wehrhaft, hatten rasiermesserscharfe Kanten. Auf seiner rechten Hand entdeckte Lukas mehrere kleine, gerade Schnitte. Allerdings waren sie nicht tief, es blutete nicht.
    Lukas stand auf und atmete tief ein. Der Geruch von Harz und Sonne. Dann betrat er vorsichtig die Lichtung. Es tat ihm leid, das Gras zu zertrampeln, jeder Schritt tat diesem unwirklichen Ort Gewalt an, jeder Schritt war ein kleines Verbrechen am Besonderen.
    In der Mitte der Lichtung blieb Lukas stehen. Um ihn war absolute Stille, sogar die Mücken hatten ihre Angriffe eingestellt. Einen kurzen Moment überlegte Lukas, sich ins Gras zu setzen. Aber schnell verwarf er den Gedanken. Er wollte nicht noch mehr zerstören, diesen heiligen Ort nicht weiter entweihen. Und dann roch er etwas. Nur ganz schwach. Ein herber, spitzer, unangenehmer Duft. Lukas erwachte aus seiner Ergriffenheit und drehte den Kopf. Einige Meter weiter sah er etwas. Das Gras war niedergedrückt und schien ein wenig dunkler. Lukas ging näher heran und sah, was diesen Geruch verursachte. Im Gras lag ein zerrissener, ausgebreiteter Darm. Als hätte etwas dieses Stück Gewebe hinter sich her gezogen und dann losgelassen. Das Ding war gräulich-rosa und als Lukas genauer hinsah, da schien es sich zu bewegen, ganz leicht nur. Er tippte mit der Spitze seines Schuhs dagegen, ein Gewebefetzen klappte herunter und ein Klumpen Maden fiel heraus. Mit einer Mischung aus Faszination und Ekel sah Lukas, wie der Klumpen auseinander kroch. Einige der Tiere kehrten zu ihrem Fraß zurück,

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