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Die Knochenleserin

Die Knochenleserin

Titel: Die Knochenleserin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Iris Johansen
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ein.

14
    D ie Taschenlampe leuchtete hell in der Dunkelheit.
    Kistle konnte Laura Ann sehen, die sich nah ans Licht kauerte, als wäre es ein Feuer, das sie wärmte und ihr Schutz bot.
    Er tauchte das Ruder ins Wasser. Kistle Island lag direkt gegenüber, wie er dem Kind gesagt hatte. Die Insel hatte keinen Namen, also hatte er ihr seinen gegeben. Er legte an, versteckte das Boot im Gebüsch und packte seine Waffen aus. Erfüllt von freudiger Erregung betrat er die Insel.
    Sie müssten eigentlich bald hier sein, aber es blieb ihm noch ein bisschen Zeit, um seine Heimkehr auszukosten. Herrliche Erinnerungen an Macht und totale Unterwerfung. Hier war er der König gewesen, und hier war er immer noch König. Er war der Herr über Leben und Tod, und das würde sich nie ändern.
    Er schaute noch einmal zu dem Strahl der Taschenlampe auf der anderen Insel hinüber.
    Hol sie zu dir, Laura Ann.
    Lass sie wie Motten in dein Licht flattern.
     
    »Das ist nicht dieselbe Insel.« Montalvo verglich die Insel mit dem Foto auf seinem Schoß, dann schaltete er die Taschenlampe aus. »Hier können wir lange suchen.«
    »Und was machen wir? Überprüfen wir noch den Rest der Gegend?«, fragte Miguel.
    Montalvo überlegte. Jetzt wo sie schon einmal hier waren, wäre es eigentlich praktisch weiterzusuchen.
    Sein Instinkt jedoch riet ihm, in nördliche Richtung zu fahren, dorthin, wo Quinn war.
    Zum Teufel mit praktischen Erwägungen.
     
    Der Strahl der Taschenlampe war wie das Licht in ihrem Schlafzimmer zu Hause, dachte Laura Ann. Beide gaben ihr das Gefühl von Geborgenheit. Nur mit dem Unterschied, dass die Lampe zu Hause Tinker Bell war und es hier keine Feen gab. Niemanden, der einem Vertrauen einflößte. Nur Angst machende Bäume und raschelnde Geräusche.
    Und dieser böse Mann, der sie hier zurückgelassen hatte, damit sie auf Eve wartete. Ob Eve die Polizei mitbringen würde? Sie konnte das nur hoffen. Dann würden sie Kistle fangen und ihn für die nächsten hundert Jahre ins Gefängnis stecken.
    Aber er hatte gesagt, er würde wiederkommen und ihr weh tun. Also warum hatte er ihr dann die Taschenlampe gegeben und sie allein gelassen?
    Sie wollte nicht darüber nachdenken. Er hatte es getan, sie hatte die Taschenlampe, und bald würde Eve sie holen kommen.
    Aber wenn sie die Taschenlampe hatte, musste es schlecht für sie sein und schlecht für Eve, sonst hätte Kistle sie ihr doch gar nicht gegeben. Er wollte nur Schlechtes.
    Lauf weg.
    Aber jetzt war er ja nicht da. Sie war in Sicherheit.
    Er würde zurückkommen.
    Lauf weg.
    Nein, sie hatte hier ihren kleinen Lichtfleck. Da draußen in der Dunkelheit lauerten überall gefährliche Tiere. Vielleicht keine Ungeheuer, aber Dinge, die ihr weh tun konnten.
    Sie musste hier in dem Licht bleiben.
     
    »Halt mal an.« Eve starrte angestrengt in die Dunkelheit vor ihr. »Ich dachte, ich hätte etwas gesehen.«
    »Was denn?«, fragte Joe.
    »Licht.«
    »Wo? Ich sehe nichts.«
    »Es war nur ein Schimmer zwischen den Bäumen. Vorn rechts. Ich hätte schwören können … vielleicht habe ich mich aber auch geirrt.« Sie sah Megan an. »Haben Sie ein Licht gesehen?«
    Megan antwortete nicht. Ihr Körper war angespannt, verkrampft. Sie hielt den Blick starr geradeaus gerichtet, und ihr Gesicht schimmerte bleich im Dunkeln.
    »Was ist los?« Eve konnte die Augen nicht abwenden von dem Entsetzen, das in Megans Gesichtsausdruck lag.
    »Ich weiß nicht«, flüsterte Megan. »O Gott, ich weiß es nicht.«
     
    Sie kamen!
    Heftige Vorfreude überkam Kistle, als er das Boot in der Ferne entdeckte. Drei in einem Boot. Quinn, Eve und wer noch? Es spielte keine Rolle. Zuerst würde er Quinn erledigen, und dann könnte er Eve zu sich locken. Er brachte sich in eine bequemere Position hoch oben auf dem Ast der Zypresse, von wo aus er klare Sicht auf die andere Insel und das Wasser hatte. Er zielte auf Quinn, der vorn im Boot saß. Aber für einen Treffer war er noch zu weit entfernt. Er konnte sich noch Zeit lassen. Laura Anns Lampe würde sie direkt in seine Schusslinie locken. Sobald sie nah genug waren, würden sie ein Fernglas benutzen und das kleine Miststück im Licht hocken sehen. Quinn würde nicht darauf reinfallen; er würde nicht glauben, dass Kistle sie freigelassen hatte, aber er würde trotzdem herkommen und sich umsehen müssen. Er richtete seine Aufmerksamkeit wieder auf die andere Insel. Quinn würde das Tempo erhöhen, um schneller etwas erkennen zu können – Kein Licht

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