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Die Knochentänzerin

Die Knochentänzerin

Titel: Die Knochentänzerin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Franz-Josef Körner
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wir hier richtig!«
    »Nein.«
    Es klang so entschieden, dass William innehielt. »Warum sagst du nein? Hier hat Cosmas den Schädel gefunden. Das da sind zweifelsohne Grabsteine. Welcher Beweise bedarf es noch dafür, dass hier die elftausend Jungfrauen begraben liegen?«
    Mein Lachen klang gekünstelt. »Denk doch mal nach! Die heilige Ursula und ihre Jungfrauen wurden angeblich vor den Toren Kölns von Hunnen ermordet.«
    »Angeblich?«, rief William aufgebracht. »Es gibt keinen Zweifel daran, dass es wirklich geschah! Jede Nonne, jeder Mönch hat die
Legenda aurea
des Jacobus de Voragine gelesen. Darin steht haarklein beschrieben, wie es geschah. Es ist wahr!«
    »Wir beide jedenfalls haben vor Köln von dieser
Legenda aurea
noch nie etwas gehört. Ich wette, Cosmas auch nicht. Und wie der Name schon sagt, es handelt sich um eine
Legende
. Legenden sind Geschichten, die man sich über die Jahrhunderte weg erzählt. Ich wüsste nicht, dass der Wahrheitsgehalt von Legenden allzu groß wäre.«
    »Jeder Legende wohnt ein wahrer Kern inne«, beharrte William trotzig.
    Ich seufzte. »Noch einmal: Laut einer Legende töteten die Hunnen vor Köln ein ganzes Heer von Jungfrauen. Wie, bitte sehr, gelangten dann ihre sterblichen Überreste hierher? Wenn es sich um heilige Gebeine handelt, dann müssten diese längst in Reliquienschreinen in den prächtigsten Kathedralen des Abendlandes ruhen. Aber doch nicht hier, verbuddelt auf einem Hügel vor Prag.«
    »Ich vertraue dem Erzbischof von Köln. Schließlich ist er ein hoher Diener Gottes, er würde nie lügen, dafür ist die Angst solcher Herren vor dem Höllenfeuer viel zu groß. Wilhelm zu Köln hat gesagt, die Gebeine liegen in Prag. Also hier. Außerdem, wenn nur die Hälfte wahr ist – mit fünfhundertfünfzig heiligen Reliquien bin ich auch schon zufrieden.«
    »Keine Einzige davon ist heilig! Es sind nur irgendwelche Knochen!«
    »Weißt du, worauf es ankommt?« William hieb aufgebracht die Schaufel in den Boden. »Es kommt auf den Glauben an!«
    Cosmas nickte schwermütig: »Wenn ihr Glauben habt wie ein Senfkorn, so könntet ihr sagen zu diesem Berg: Hebe dich dorthin, so wird er sich heben; und euch wird nichts unmöglich sein.«
    »So spricht Jesus«, bestätigte William. »Der Glaube vermag Berge zu versetzen.«
    »Knochen!«, rief ich. »Hier geht es um Knochen, nicht um Berge!«
    »Hör zu.« William legte mir in einer fast väterlichen Geste den Arm um die Schulter und redete eindringlich auf mich ein: »Ich sage dir, worum es wirklich geht. Es geht natürlich um Knochen. Aber vor allem darum, was wir aus ihnen machen – und darum, was die Leute von diesen Gebeinen glauben. Glaube bewirkt Wunder! Cosmas und ich kümmern uns um die Knochen. Deine Aufgabe besteht darin, die Dokumente dafür zu schreiben. Weiter nichts. Lass den Rest unsere Sorge sein. Vertrau mir.«
    »Dir vertrauen? Das letzte Mal, als ich dies tat, hätte es mich beinahe meine rechte Hand gekostet!«
    »Dieses Mal ist alles ganz anders. Du wirst sehen.«
    William und Cosmas blickten mich erwartungsvoll an. Ich starrte auf die Grabsteine und schwieg. Was hätte ich auch erwidern können? Dass ich ihre Begeisterung an der Sache nicht wirklich teilte? Dass ich am Geschäft mit Knochen – und vor allem am Ausgraben derselben – keinen rechten Gefallen fand? Dass ich glaubte, es gäbe bessere Lebensgrundlagen, als Gebeine mit gefälschten Zeugnissen feilzubieten? Dass ich mich trotz alledem entschieden hatte, zu helfen, wo es ging, da mein Beschluss, Williams Gefährtin zu sein und zu bleiben, feststand? Statt einer Antwort kratzte ich mit den Fingern das Moos von weiteren in den Grabstein gemeißelten Zeichen. »Was heißt das?«, fragte ich Cosmas gedankenverloren.
    Cosmas schob seinen totenkopfgleichen Schädel näher und murmelte. »
Cern
, es könnte
cern
heißen. Schwarz.«

    Während bereits der Vollmond wie ein bleiches Gespenst über den Himmel kroch, gruben und hackten die beiden immer noch. William pfiff bei seinem schauerlichen Handwerk ein fröhliches Lied, wohingegen Cosmas’ Weise schwermütig klang. Längst hatten sie ein halbes Dutzend Skelette dort aufgereiht, wo ich saß. Schädel mit bleckenden Gebissen, Würmer, die aus Augenhöhlen krochen, Rippen an denen verrottetes Fleisch hing, madenbehangene Ellen und Speichen, fliegenumschwirrte Becken und Beine. Zu meinen Füßen lag außer den Skeletten noch ein Sack. Darin ein Sammelsurium aus beschriebenen Pergamenten und

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