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Die Knochentänzerin

Die Knochentänzerin

Titel: Die Knochentänzerin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Franz-Josef Körner
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unter der Würde eines Königs, selbst zu schreiben, dafür gab es einen ganzen Stab von Sekretären und Mönchen. Doch diese stillen Stunden am Abend über der Moldau waren Karl so wertvoll, dass er sie nicht mit einem Schreiber teilen wollte.
    Zehn Kapitel hatte er bereits verfasst. Er schlug eine leere Seite auf, tauchte die Feder ein und malte die Zahl
elf
auf das Pergament. Dann hielt er inne. Schon gestern war er an dieser Stelle nicht weitergekommen. Es ging um Gesetze, die seiner Meinung nach dringend notwendig waren, um eine komplizierte Sache zu vereinfachen: die Königswahl. In früheren Zeiten hatten sich Könige nicht als Gesetzesmacher verstanden. Das hatte sich mit den Staufern geändert. Sie waren die ersten Herrscher gewesen, die sich als Quelle des Rechts angesehen hatten.
    Die Feder schwebte über dem Pergament. Karl dachte nach. Immer wieder war es in der Vergangenheit zu Konflikten gekommen, weil sich eine Vielzahl von Fürsten nicht auf den Nachfolger eines verstorbenen Königs einigen konnte. Die gespaltenen Lager begannen Kriege. Ganze Reiche gerieten an den Rand des Abgrunds. Der Krieg zwischen England und Frankreich war ein grausames Beispiel dafür, was ein Thronstreit anrichten konnte. Sein eigener Vater, Johann von Böhmen, hatte sein Leben auf dem von England und Frankreich geschaffenen Schlachtfeld von Crécy gelassen.
    Karl legte die Feder nieder, ohne etwas geschrieben zu haben. Tief unter ihm lag Prag, seine Stadt. Überall leuchteten in der Abenddämmerung die Kochfeuer, dunkle Rauchsäulen stiegen wie Geister auf. Der Strom, der Prag teilte, schien in seiner nächtlichen Schwärze erstarrt. Er, Karl, war der König über diese Stadt und dieses Land, er hielt alle Macht in Händen. Gab es etwas Verführerischeres, Gefährlicheres, Zweischneidigeres als Macht? Ein Wort von ihm konnte Tausende Menschen töten! Beinahe war es unvorstellbar! Seine Entscheidungen konnten jedoch ebenso viele Leben retten. Doch welche Entscheidungen waren die richtigen? Wo galt es, sich einzumischen, an welchen Orten war Zurückhaltung geboten? Italien mit seinen verfeindeten Städten war ein Beispiel. Einige Fürsten forderten Hilfe vom König. Er sollte sich entscheiden. Doch für wen – gegen wen? Beinahe alle seine Vorgänger hatten Italienfeldzüge geführt. Was war dabei herausgekommen? Unzählige Tote, ein kurzer Frieden. Doch wenig später war der Konflikt wieder ausgebrochen wie ein Feuer, das man gelöscht glaubt und das doch immer wieder aufflammt, weil die Glutnester nicht auszurotten sind.
    Italien, aber vor allem auch der Krieg zwischen England und Frankreich waren die Hauptgründe, warum er die Ungarn und die Venezianer eingeladen hatte. Die Kriegsflotte der Serenissima stellte vielleicht den wichtigsten neutralen Machtfaktor in einer aus den Fugen geratenen Welt dar. Irgendwann müsste der Doge von Venedig Stellung beziehen. Vielleicht war dies bereits geschehen. Doch wohin würde Venedig sich wenden? Zu den Franzosen? Oder zu den Engländern? Karl spürte, wie die Unruhe in ihm wuchs. An ein Weiterarbeiten war nicht mehr zu denken. Er überlegte. Was sprach dagegen, den Dogen jetzt schon um ein Gespräch zu bitten? Karl zögerte. Es galt die eiserne Regel, wichtige Dinge nie vor dem Essen zu besprechen. Besser nach dem Festbankett? Plötzlich fiel ihm Marino Faliero ein, der als Mitglied des Großen Rats von Venedig im Gefolge Dandolos mit nach Prag gekommen war. Einem raschen Entschluss folgend, griff Karl nach dem silbernen Glöckchen. Er hielt kurz inne, dann läutete er nach einem Diener.

    Falls Faliero überrascht war, um diese Stunde zum König gerufen zu werden, so war ihm dies nicht anzumerken. Wie es sich gebührte, neigte er demutsvoll den Kopf, doch noch bevor er niederknien konnte, schob ihn Karl zu einem Sessel und setzte sich ihm gegenüber. Schweigend warteten sie, bis der Diener Wein eingeschenkt hatte, dann ergriff der König das Wort.
    »Venedig ist doch immer wieder für eine Überraschung gut.«
    Faliero hob fragend die Brauen. »Verzeiht, Majestät – von welcher Überraschung sprecht Ihr?«
    »Lassen wir die Förmlichkeiten. In Venedig nanntet Ihr mich Karl. Ich spreche von der Wahl des Dogen.«
    »Nun, Pietro Dandolo stammt aus traditionsreichem Haus …«
    »Trotzdem. Nach all Euren Verdiensten um die Serenissima, dachte ein jeder, der neue Doge würde Marino Faliero heißen.«
    »Venedig hat Dandolo gewählt.«
    »Euch hätte das Amt auch gut zu Gesicht

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