Die Knochentänzerin
Schreibutensilien, die Cosmas unterwegs irgendwo aufgetrieben hatte. Als es mir nicht mehr genügte, nur dazuhocken und den beiden Gesellen beim Knochenausgraben zuzuschauen, begann ich im Mondlicht mit Williams Beinmesser die Buchstaben von den besten Pergamentstücken abzuschaben. Was mochte wohl einer denken, der sich die Szenerie von außen besah? Zwei Gestalten, die Knochen ausgruben, und eine rothaarige Hexe, die eine Tierhaut abkratzte?
Dann, als am nächsten Morgen die Sonne aufging, hockte ich mich auf einen Grabstein und begann Zeugnisse für die Skelette zu schreiben. Jedes Einzelne siegelte ich fein säuberlich mit meinem in Wachs getauchten Rosenring.
Stolz präsentierten sie mir ihre schauerliche Galerie. In der Scheune brannten Wachskerzen und beleuchteten sie wie eine Kirche. Genau sieben Skelette lagen aufgereiht auf etwas, das aussah wie dunkelblauer Samt. Bestimmt war der nicht echt, ebenso wenig wie die Ringe, Ketten und Edelsteine, mit denen die Gebeine geschmückt waren. Woher kam all der Tand so schnell? Ein halber Tag hatte Cosmas und William genügt, dies alles zu beschaffen. Sogar Nonnengewänder bekleideten zwei der Gerippe, über welche Mauer war William diesmal dafür gestiegen, von welcher Wäscheleine hatte er sie gestohlen?
Die von mir geschriebenen Zeugnisse lagen neben den Schädeln, in deren Augenhöhlen falsche Rubine, Smaragde und Aquamarine funkelten. Beinahe verspürte ich Stolz auf mein Werk – die geschwungenen Lettern, die mit Blättern, Blumen und Vögeln verzierten Initialen. Rot leuchteten die Siegel mit der Rose, die sich um den Stab windet, rechts unten auf den Zeugnissen.
»Pinnosa, Brittola, Martha, Saula, Sambatia, Gregoria, Saturnia«, verlas William ehrfürchtig die Namen der Skelette.
»Und nun?«, fragte ich.
»Nun? Nun werden wir sie verkaufen.«
34
Der Zufall in der Zahl sieben
P eter Parler rannte hektisch auf der Dombaustelle umher. Er trug sein Festgewand. Unterhalb des Hradschin zog das silberne Band der Moldau unbeirrt dahin, als sei der Besuch all der hohen Herren etwas Alltägliches. Parler jedoch, mit hochrotem Kopf, wusste vor Aufregung nicht einmal mehr, welche Fürsten und Erzbischöfe aus welcher Herren Länder gleich den Ort besuchen würden, über den er seit wenigen Wochen herrschte. »Heimsuchen«, murmelte er, »das wäre das bessere Wort«, um sich sogleich umzusehen, ob es nicht jemand gehört hatte. Sein Herr, Karl der Vierte, König von Böhmen und der Deutschen, hatte zur Besichtigung der Dombaustelle geladen. Parler wusste nur noch etwas vom ungarischen König mitsamt seinen Fürsten und Bischöfen und dem Dogen von Venedig nebst Gefolge. Den Rest der Honoratioren hatte er vergessen. Was soll’s, dachte er, das reicht auch schon. In den vergangenen Tagen hatte er den Versuch einer Gratwanderung unternommen. Einerseits sollte es auf der Baustelle vor Betriebsamkeit brummen wie in einem Bienenstock, schließlich wollte König Karl sich damit schmücken, seinem Besuch die Entstehung einer der schönsten Kathedralen des christlichen Abendlandes vorzuführen. Andererseits galt es, der Arbeit etwas zu verleihen, das weit entfernt von der Wirklichkeit lag. Die Baustelle sollte glänzen wie ein frisch polierter Apfel. Wie soll das gehen, dachte Parler – wo gehobelt wird, fallen Späne, wohin mit all dem Dreck? Niemand kann eine Wand mauern, ohne dass etwas dabei schmutzig wird, und wie, bitte schön, soll ich einem Fuhrwerksgaul, auf Deutsch gesagt, verbieten, auf den Platz zu scheißen?
Parler stauchte im Vorbeigehen zwei Schreinergesellen zusammen, die mit der Spannsäge an einem Balken zugange waren und nun kurz innehielten, um sich den Schweiß von der Stirn zu wischen. »Hier wird gearbeitet, nicht in die Luft geguckt«, fauchte er und eilte weiter, ohne sich darum zu kümmern, ob die Handwerker weitersägten oder nicht. Doch ansonsten schien alles in Ordnung. Es wurde gemauert, gebaut, gehämmert, Seilwinden quietschten, die Räder der Fuhrwerke schnitten Muster in den Boden – es sah so aus, als würde jeder Meister, Geselle und Lehrjunge tatsächlich sein Bestes geben.
Da. Da kamen sie. Parler sah, wie sich der Sänftenzug mit all dem Gefolge im Schlepptau von der Burg her der Dombaustelle näherte. Während er sich bekreuzigte, murmelte er: »Gütiger Himmel, warum lässt du diesen Kelch nicht an mir vorübergehen?«
Faliero ließ die Besichtigung der Dombaustelle mit der Höflichkeit und Geduld des Diplomaten über
Weitere Kostenlose Bücher