Die Knochentänzerin
Die Gestalt hörte auf zu hüpfen, doch das Messer blieb gegen uns gerichtet.
»Warum nicht?«
»Weil ich arbeite. Ihr stört nur.«
Williams Tonfall wurde beschwichtigend. »Wir hocken uns in eine Ecke, dahin, wo wir dir nicht im Weg sind. Welcher Art ist deine Arbeit?« Er beugte sich vor und schien etwas Interessantes zu entdecken. »Gehört das da dazu?«
»Das geht dich nichts an.«
»Vielleicht doch. Ich vermute, wir sind beide im gleichen Geschäft.« William streckte die Hand nach etwas aus, das ich nicht sehen konnte. Neugierig lugte ich hinter seinem Rücken hervor und erschrak. Das Messer wies auf Williams Hand. Darunter, auf einem Tuch am Boden, lag ein Totenschädel. Einsam glomm wie Glut ein roter Edelstein in einer Augenhöhle.
»Finger weg!«, kreischte die Gestalt. Das Messer säbelte durch die Luft.
»Ist ja gut.« William zog die Hand zurück. »Wie gesagt, auch mein Geschäft ist der Handel mit Reliquien. Es ist nur die Neugierde der Zunft. Darf ich fragen, um wessen Schädel es sich handelt? Ein Heiliger? Wie alt? Ist der Rubin echt?«
»Du bist auch Knochenhändler?« Langsam senkte sich das Messer. Draußen tobte der Sturm. Der Regen peitschte gegen die Wände, Donner krachten, und niederfahrende Blitze tauchten das Innere der Scheune für Wimpernschläge in grelles, gespenstisch weißes Licht, das über ein bleiches Gesicht zuckte. Dieses glich selbst einem Totenschädel, mit Pergamenthaut, die sich über spitze Wangenknochen, eine kurze, wie abgeschnittene Nase und eine gewölbte Stirn spannte. Als er nun mit kratzender Stimme sprach, entblößte er wie ein grinsender Schädel ein Bruchwerk von schiefen Zahnruinen, die halb im Gaumen versanken.
»Das ist der Totenkopf einer heiligen Jungfrau.«
Wäre William ein Fuchs gewesen, hätte ich sehen können, wie er die Ohren spitzte.
»Eine heilige Jungfrau?«, wiederholte er, und diesmal schien der Lichtstrahl des Blitzes direkt in den Totenkopf hineinzufahren.
Als gelte es, einen Säugling zu schützen, legte der andere seine Hand über den Schädel. Nun zupfte er sogar liebevoll einen Hautfetzen von der Knochenstirn. »Du kannst ihn mir nicht wegnehmen, ich habe ein Messer.«
»Ich auch – aber ich habe nicht vor, dir das Schmuckstück wegzunehmen. Du weißt nicht zufällig, wer diese heilige Jungfrau war?«
Der andere zuckte mit den Schultern. »Wenn es darum geht, den Kopf zu verkaufen, wird mir schon ein passender Name einfallen.«
»Aha. Die Sache hat nur einen Haken. Darf ich dir einen Rat geben?«
»Kommt drauf an. Welchen?«
»Verkaufe ihn als das, was er ist.«
»Was ist er denn?«
»Jedenfalls keine Heilige.«
»Nicht?«
»Nein. Allenfalls ein
Heiliger
. Dazu noch ein Kind.« William ging vor dem Totenkopf in die Hocke und streckte den Zeigefinger aus. »Du bist mir ein schöner Experte. Siehst du nicht, hier? Nur Männerschädel weisen über den Augen diese deutlich ausgeprägte Wulst auf. Bei Frauen ist der Knochen da einigermaßen glatt. Das hier war eindeutig ein Knabe. Für einen richtigen Mann ist er noch zu klein. Vielleicht hast du deshalb geglaubt, es ist ein Frauenkopf.«
Der andere betrachtete William mit einer Mischung aus Neugierde und Misstrauen. »Wer bist du eigentlich?«
William stand auf und legte eine Hand auf seine Brust. »Ich bin William der Erste, Reliquienhändler bis über die Grenzen des Christenlandes hinaus. Und das da –«, sein Daumen nickte zu mir, »– ist meine Gemahlin, Cailun.«
»Cailun.« Sein Totengesicht blickte verächtlich. »Was ist das für ein Name. Mich jedenfalls nennt man Cosmas von Prag, nach dem berühmten Chronisten Cosmas, der dokumentierte, wie unser Urvater Çech den Stamm der Chechen einst ins Land führte.«
»Urvater hin, Urvater her, von Knochen hast du jedenfalls keine Ahnung«, erwiderte William ungerührt. »Hast du denn ein Zeugnis, das die Heiligkeit der Reliquie belegt?«
»Woher soll ich so was haben?«
William schüttelte mitleidig den Kopf. »Du willst einen Knabenschädel als Frauenkopf mit einem falschen Rubin im Auge als heilige Reliquie verkaufen und hast nicht mal ein gefälschtes Dokument? Du bist wohl noch nicht lange im Geschäft. So wird das nie etwas. Woher hast du den Schädel denn?«
Cosmas guckte wie ein beleidigtes Kind. »Das werde ich dir nicht sagen.«
Wieder wurde William hellhörig. »Soll das etwa heißen, da liegt noch mehr?«
Cosmas blickte zu Boden und schwieg mit schmalen Lippen.
»Nun sag schon«, hakte William
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