Die Knochentänzerin
Frage.«
»Wie lautete seine Antwort?«
»Ich will offen mit Euch sein. Dandolos Antwort war vage. Zwischen den Zeilen lautete sie wohl, Venedigs Interessen richteten sich in erster Linie nach den Gesetzen des Handels. Ich glaube, er wollte sagen: Die Gunst Venedigs – und damit die Schlagkraft Eurer Kriegsflotte – wird dem zugutekommen, der den Geschäften der Serenissima am zuträglichsten ist.«
Faliero blickte nachdenklich.
»Ist dem so?«, hakte Karl nach.
Faliero zögerte zunächst mit einer Antwort, dann erwiderte er: »Ihr fragt mich? Ich bin nur ein Ratsmitglied. Verbindlichkeiten könnt Ihr aus meinem Mund nicht hören.«
»Das weiß ich. Das einzig Verbindliche wäre ein Vertrag, doch auch Verträge sind das Pergament nicht wert, auf das sie geschrieben werden, sobald sich die Lage oder die Interessen ändern. Mich interessiert trotzdem Eure Meinung.«
»Meine Meinung?«
»Eure ehrliche, vorbehaltlose Meinung«, bestätigte der König.
Faliero lehnte sich zurück und verschränkte die Arme. Nach kurzem Nachdenken fasste er einen Entschluss: »Gut. Ich werde Euch sagen, was ich denke. Im Falle der lombardischen Städte verhält Venedig sich neutral, weil es keinen Grund zur Einmischung gibt. Keine dieser Städte kann je ein ernsthafter Rivale Venedigs sein. Anders verhält es sich mit Genua, das uns unsere Überlegenheit neidet und nichts unversucht lässt, Venedig zu schaden. Genua bekriegen wir, wie man eine faulige Krankheit bekämpft.« Faliero pausierte kurz, bevor er hinzufügte: »Doch dies ist keine Sache, die dem König der Böhmen und der Deutschen Sorgen bereiten sollte. Das regelt Venedig allein.«
»Das weiß ich. Wie aber steht es mit Frankreich und England?«
Faliero blickte ernst. »Es bringt dem eigenen Volk keinen Nutzen, sich andernorts für Gut oder Böse einzusetzen, wenn Ihr versteht, was ich meine.«
»Ihr meint, Venedig wird erst Partei ergreifen, wenn es erkennt, wo die Vorteile liegen.«
»Selbstverständlich. Welchen anderen Grund gäbe es, sich in einen Krieg einzumischen, der einen im Prinzip nichts angeht?«
Karl hätte einige Gründe zu benennen gewusst, behielt diese aber für sich. »Das heißt, Venedig bleibt neutral?«
»Im Augenblick, ja. Natürlich beobachten wir zum Beispiel die Lage in Flandern, das, wie Ihr wisst, von Bedeutung für den Wollhandel ist. Doch solange der Krieg ansonsten keine ernsthafte Bedrohung für die Sicherheit oder den Handel Venedigs darstellt, ergibt es keinen Sinn, für Frankreich oder England einzustehen. Sie streiten um den Thron. Das ist ihre Sache.«
»Das sind klare Worte. Ich danke Euch dafür.«
Faliero deutete im Sitzen eine Verbeugung an. Der König griff nach dem Silberkelch und nippte nachdenklich am Wein. In diesem Augenblick klopfte es an der Tür. Kurz darauf trat ein Diener ein. Er wartete, bis der König ihn aufforderte: »Sprich. Ich weiß, du störst nicht ohne Grund.«
»Majestät, der Dombaumeister wünscht Euch zu sprechen.«
Karl wechselte einen erstaunten Blick mit Faliero, bevor er fragte: »Und was genau will er?«
»Er ist hier und fragt, ob er den König sprechen kann.«
Karl überlegte. Um diese Zeit ruhten die Arbeiten auf der Dombaustelle. Was also mochte der Grund für die ungewöhnliche Störung sein? Was war geschehen? Es gab nur eine Möglichkeit, das herauszufinden. »Er soll eintreten.«
Der Diener verneigte sich und verschwand. Zögernd betrat nun Peter Parler das Turmzimmer. In der Mitte des Raums kniete er nieder und wartete.
»Steht auf«, befahl Karl. »Und nennt mir gleich den Grund für Euer Erscheinen.«
Parler tat, wie ihm befohlen. Er hielt ein Pergament in der Hand, das er nun aufrollte und unschlüssig ansah. »Es geht um dieses Dokument«, erklärte er schließlich zögernd.
»Was hat es damit auf sich?«
»Es ist die Urkunde für eine Reliquie.«
Karl blieb geduldig, obwohl er wünschte, Parler käme schneller zur Sache. »Eine Reliquie, die Euch für den Dom geeignet erscheint? Um welchen Heiligen handelt es sich?«
Parler schien eine Antwort sorgsam abzuwägen, bevor er sprach: »Ich bin mir nicht sicher. Da der Bischof nicht in Prag weilt, erbitte ich mir Euer Urteil. Einerseits klingt das Angebot verlockend. Es geht um die Jungfrauen der heiligen Ursula von Köln.«
Karl hob die Brauen. Wie jeder gebildete Mensch hatte er die
Legenda aurea
gelesen und kannte deshalb die Sage. »Die heilige Ursula?«
»Nicht um sie direkt. Aber um sieben ihrer
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