Die Knochentänzerin
Wochenarbeit mit einem Pfennig vergüten.«
Der Engländer neigte das Haupt. »Vielen Dank, Herr.« Dann wandte er sich ab und überquerte den Platz, um zu der Bauhütte zu gelangen, auf die Parler gewiesen hatte. Dieser schnippte einen abseits stehenden Mann herbei, der Zeuge des Gesprächs gewesen war. »Hab ein Auge auf ihn«, befahl der Dombaumeister. Der Mann nickte und verschwand ebenfalls in Richtung der Bauhütte.
Der zweite Grund für Parlers Irritation näherte sich gleich im Anschluss in Form zweier seltsamer Gestalten. Offensichtlich hatten der Böhme mit dem Totenkopfgesicht und sein baumlanger, dürrer Begleiter das Verschwinden des Engländers abgewartet, um nun selbst in Erscheinung zu treten. Die beiden Reliquienhändler, deren Urkunde er dem König zur Begutachtung vorgelegt hatte, traten auf ihn zu. Aus den Augenwinkeln suchte er den Platz nach Stadtwächtern ab, doch nirgendwo entdeckte er einen der roten Röcke oder einen Schild mit den drei Türmen des Altstadtwappens. Doch der Dombaumeister brauchte nicht lange zu überlegen, wie er die beiden vor den König locken könnte. Die Aussicht auf ein lukratives Geschäft würde genügen.
Etwas zögerlich blieben die Reliquienhändler vor ihm stehen. Parler setzte sein gewinnendstes Lächeln auf und ließ seine Stimme so freundlich wie möglich klingen: »Tretet näher, die Herren. Ich habe gute Neuigkeiten. Der König zeigt sich äußerst interessiert an den Reliquien der heiligen Jungfrauen von Köln.«
Die Angesprochenen wechselten einen Blick, bevor der Böhme das Wort ergriff: »Das Interesse des Königs ist uns eine große Ehre, aber …«
Was sich schon im Gang der Händler gezeigt hatte, äußerte sich nun auch in den Worten. Das Zögerliche war unüberhörbar. »Aber?«, wiederholte Parler. »Gibt es vielleicht noch andere Interessenten? Wir haben noch nicht über den Preis geredet. Seid Ihr hier, um zu handeln?«
»Das Problem ist ein anderes«, wand sich der Böhme, während sein Begleiter ernst nickte.
Parler hob die Hände. »Es lässt sich über alles reden. Sagt schon. Wo ist der Haken?«
Nun sprudelte es aus dem Böhmen heraus: »Der Haken liegt möglicherweise an der Herkunft der Reliquien. Ich muss nicht betonen, dass wir ehrbare Geschäftsleute sind. Leider trifft dies vermutlich nicht auf jene Anbieter zu, von denen wir die Skelette erwarben. Mit anderen Worten, wir sind uns nicht sicher, ob es sich bei den Reliquien tatsächlich um die Knochen der heiligen Jungfrauen handelt.«
»Was lässt Euch zu dieser Schlussfolgerung kommen?« Parler war überrascht. Diejenigen, die er für Scharlatane hielt, sprachen nun selbst von Gaunerei. Er hatte irgendwo einmal einer Gauklervorstellung mit einem dressierten Äffchen beigewohnt, das Kunststücke vollführte. An dieses Tier erinnerte ihn nun das Gesicht des Böhmen – mit den gebleckten Zähnen und dem übereifrigen Nicken des Kopfes.
Mit offensichtlichem Ungemach fuhr der Böhme fort: »Zum Ersten die Tatsache, dass in der Nähe Prags ein Pestfriedhof geplündert wurde …«
»In der Tat. Und zum Zweiten?«
»In der Gesellschaft der Händler wurde ein stadtbekannter Fälscher gesehen. Zählt man nun eins und eins zusammen, lässt sich der Verdacht nicht von der Hand weisen, dass es sich bei den Reliquien mitnichten um Heiligenskelette handelt, sondern um ganz gewöhnliche Pestknochen. Um dieses Risiko auszuschließen, möchten wir unser Angebot zurückziehen und stattdessen ein anderes machen – ein noch viel besseres, wie wir meinen.«
»Ihr weckt meine Neugierde.«
Der Böhme strahlte nun vor Eifer und trat so nah an Parler heran, dass er seinen Atem spüren konnte, der nach feuchter Erde roch. »Glaubt mir, es ist die perfekte Reliquie für Euren Dom. Es handelt sich dabei um …«
Parler hasste Theatralik. Trotzdem blieb er die Freundlichkeit selbst. »Sagt schon«, forderte er den Böhmen lächelnd auf.
»Es handelt sich um … die Kopfreliquie des … heiligen Veit.«
»Beeindruckend.« Parler wies auf den Kasten, den der Begleiter des Böhmen trug. »Ich nehme an, der Kopf ist in dieser Kiste? Darf man einen Blick darauf werfen?«
»Selbstverständlich«, dienerte der Böhme und wedelte hektisch mit den Händen. Daraufhin stellte sein Begleiter den Kasten auf den Boden und öffnete den Deckel. Die Kiste war mit blutrotem Samt ausgelegt. Der kleine Schädel blickte Parler mit Rubinaugen an. Gold, Silber und Diamanten blitzten zwischen den Zähnen, auf
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