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Die Knochentänzerin

Die Knochentänzerin

Titel: Die Knochentänzerin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Franz-Josef Körner
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steckten. Cosmas’ Rechte machte sich währenddessen heimlich auf den Weg zum Kasten, in dem der Schädel des heiligen Veit ruhte. Williams Finger hingegen näherten sich Stück für Stück dem Evangelistenmantel. Weder Boleslav noch Emil oder der Jude beachteten die beiden. Ihre Blicke waren abwechselnd böse auf mich und die
tres canes
gerichtet. In ihren Händen blitzten plötzlich Messer.
    »Jetzt!«, schrie Cosmas. Während er den heiligen Veit an sich riss, schnappte sich William den Mantel und den Schmuck. Gleichzeitig sprangen wir auf und rannten zur Tür. Noch bevor die anderen uns folgen konnten, waren wir draußen. Wir rannten durchs Moor, als wäre tatsächlich der Leibhaftige hinter uns her.

    Später, als wir uns in Sicherheit wähnten, hielten wir schwer atmend inne.
    »Die schönen Würfel«, schnaufte William. »Das ist bestimmt ein großer Verlust für dich. Wenn ich mir vorstelle – die Tränen Jesu auf der Rippe eines gesegneten Kindes!«
    »Nicht so schlimm«, keuchte Cosmas.
    »So etwas Wertvolles wirst du so leicht nicht wieder bekommen.«
    Cosmas zuckte mit den Schultern. »Na ja, es war schon etwas Arbeit, die Sechsen so hinzukriegen. Aber der Böhme hatte recht. Es waren nur Hundeknochen. Die Augen hab ich mit einem glühenden Nagel hineingebrannt. So etwas ist leicht zu ersetzen. Allerdings wundert es mich schon, dass es so lang gedauert hat.«
    »Was?«, schnauften William und ich im Chor.
    »Bis die
tres canes
fielen.« Er machte eine Bewegung aus dem Handgelenk. »Normalerweise beherrsche ich den Wurf perfekt.«
    »Die Würfel waren …?«
    »Gezinkt? Selbstverständlich«, erklärte Cosmas stolz. »Ihr glaubt doch nicht, ich überlasse eine Sache von solcher Bedeutung dem Zufall! Ein bisschen Blei unter den Sechsen, aber nicht zu viel, damit die Einsen nur dann fallen, wenn ich es will. Nächstes Mal muss ich die Sechsen mehr beschweren. Aber es ist eine Kunst. Wisst ihr, man muss ja die anderen auch mit seinen Würfeln spielen lassen, sonst werden sie misstrauisch. Also bedarf es einer gewissen Technik, die Knochen so zu werfen, dass auch das Richtige kommt. Vor allem darf es natürlich nicht passieren, dass der Gegner die drei Hunde kriegt. Das wäre fatal.«
    William und ich blickten Cosmas nachdenklich an.
    »Nicht schlecht«, sagte William schließlich anerkennend. »Darüber hinaus verstehst du es, die fantastischsten Lügengeschichten höchst überzeugend vorzutragen.«
    »Herzlichen Dank für das Lob.«
    Während Cosmas zufrieden grinste, betastete William seine Lippen. Dann flüsterte er mir zu: »Du hast mich geküsst, weil diese Wirtin mir schöne Augen gemacht hat.«
    »Unsinn. Froschaugen«, schimpfte ich. »Bilde dir bloß nichts ein!«
    »Wie dem auch sei,
fortes fortuna adjuvat
«, sinnierte Cosmas. »Fest steht, wir sind nun im Besitz zweier äußerst wertvoller Reliquien.« Er klatschte erfreut in die Hände. »So lasset uns den heiligen Mantel in klingende Münze verwandeln.«
    »Und nicht zu vergessen: den Schädel mit den Juwelen schmücken«, fügte William hinzu.

39
    Schwester Hildegart, zu Ehren der heiligen Klara von Assisi
    D er Prager Dombaumeister Peter Parler hatte ein ganz und gar seltsames Gefühl. Ein Grund dafür stand vor ihm. Der Meister der Bauhütte der Steinmetze hatte ihn zu ihm gebracht. Es handelte sich um einen hochgewachsenen, schlanken Mann, dessen Alter er auf etwa vierzig Jahre schätzte. Nach Auskunft des Steinmetzmeisters suchte er auf der Baustelle Arbeit, bevorzugt im Inneren des Doms. Auf den ersten Blick hielt Parler den Mann, der Deutsch mit einem fremdartigen Akzent sprach, für einen jener Handwerker, die aus dem Osten kamen, weil sie vom Prager Dombau gehört hatten – ein Ungar, Istrier oder Bulgare vielleicht. Doch einiges passte bei näherem Besehen nicht in dieses Bild. Grobes Schuhwerk, erdfarbene Beinlinge, Lederschürze und braune Tunika entsprachen der üblichen Zunftkleidung. Auch führte der Mann mit Picke, Fläch- und Stockhammer sowie Meißel und Spitzeisen, die er nach Aufforderung zeigte, das typische Werkzeug seines Handwerks mit sich. Was Parler stutzig machte, war eher ein unangenehmes Gefühl, das sich in seiner Bauchgegend breitmachte. War die Staubschicht auf Kleidung, Händen und Gesicht Beiwerk harter Arbeit, oder hatte sie der Fremde, aus welchen Gründen auch immer, nur einfach aufgetragen? Parlers Blick verweilte einen Moment auf den Händen, die angeblich tagein, tagaus Hammer und Meißel schwangen und

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