Die Knochentänzerin
mit sonstigem schwerem Gerät arbeiteten. Die Steinhauerhände, die Parler bis dato kannte, waren Pranken, deren bloßer Anblick einen das Fürchten lehren konnte. Die Hände des Fremden waren eher feingliedrig, der Staub darauf wirkte irgendwie fehl am Platz. Der Blick des Dombaumeisters wanderte nach oben. Was er sah, war ein ebenmäßiges Gesicht mit dunklen Augen, die ruhig seinen Blick erwiderten, aber auf eine undurchsichtige Art unangenehm wirkten. Graue Strähnen durchwirkten das schulterlange, ansonsten nahezu schwarze Haar. Auch die Gesichter von Steinhauern trugen die Spuren der Zunft. Häufig flogen nadelspitze Steinsplitter hoch und hinterließen früher oder später Narben auf Stirn, Wangen und Nase. Parler fand im Gesicht des Fremden keine einzige solche Narbe, die Staubschicht, die es bedeckte, sah aus wie Maskerade. Nun hielt der Dombaumeister das Zeugnis des Mannes in Händen. Mit gerunzelter Stirn las er die Urkunde und fragte: »Ihr seid Steinhauergeselle?«
»Jawohl, Herr. Ich verstehe mich besonders gut auf Skulpturen und Capitella.«
»Hier steht, zuletzt wart Ihr in der Bamberger Dombauhütte tätig, unter …?«
»Hans Puchsbaum, der derzeit in Wien die Bauhütte leitet.«
Die Antwort war rasch und richtig, doch, wie Parler dachte, nach kurzem Zögern oder einer winzigen Unsicherheit gekommen.
»Euer Gesellenbrief ist allerdings nicht in Bamberg ausgestellt.«
»Nein, Herr. Wie Ihr sehen könnt, ist der Brief vom Baumeister der Cathedral Church of Saint Mary, Master Richard, unterzeichnet und gesiegelt.«
»Ah, England – Canterbury.«
»Verzeiht, wenn ich Euch widerspreche, Herr, aber Saint Mary ist nicht Canterbury, sondern die Kathedrale von Salisbury.«
»Richtig. Wie dumm von mir. Trotzdem. Ihr seid also Engländer?«
»Jawohl, Herr.«
Parler kratzte sich am Kopf. »Eine Sache erscheint mir seltsam.«
»Welche, Herr?«
»Ihr zählt, lasst mich raten – um die vierzig Lenze?«
»Ja, Herr.«
»Trotz Eures fortgeschrittenen Alters seid Ihr Geselle und nicht Meister.«
»Das liegt am Krieg, Herr.«
»Ihr meint den Krieg zwischen England und Frankreich!«
»Ja. Ich kämpfte zur Ehre Gottes und meines Königs Edward, um ihm zu dem Thron zu verhelfen, der ihm zusteht.«
»Dem französischen Thron?«
Der Engländer nickte. Parler wunderte sich immer mehr. Schon die ganze Zeit hatte er gedacht, dass der Fremde eher einem Ritter glich als einem Steinhauer. Nun bestätigte sich der Eindruck, zumindest darin, dass offensichtlich tatsächlich ein Krieger vor ihm stand – allerdings keiner von jenen groben, mordlustigen Gesellen, deren Lebensinhalt im Töten, Plündern und Vergewaltigen bestand. Er hätte sich nicht gewundert, wäre der Mann in den schönen Künsten bewandert. Doch warum bewarb er sich hier auf der Baustelle als Steinmetz?
»Der Krieg ist noch lange nicht aus …«, ließ Parler seinen nächsten Satz mit hochgezogenen Brauen unvollendet. Als der Engländer zunächst nicht antwortete, war er gezwungen, selbst fortzufahren: »Was hat Euch bewegt, die Waffen niederzulegen und stattdessen nach Picke und Stockhammer zu greifen?«
Die dunklen, unergründlichen Augen ruhten kurz auf dem Dombaumeister, bevor sie zur Baustelle schweiften und dort verharrten. Dann antwortete er ruhig: »Ich habe das Steinmetzhandwerk erlernt. Dann kam der Krieg. Die letzten Jahre zeigten mir das verdorbene, grausame Antlitz der Welt. Tod und Verderben waren mein Geschäft. Die Tage sind nun gekommen, in denen ich Schönes sehen und schaffen will. Ich habe zur Ehre des Herrn und zum Ruhm meines Königs getötet, nun möchte ich meinen Beitrag zu dieser Kathedrale leisten. Ein prachtvolles Haus für Gott als Glanz in einer elenden Welt.«
»Ein edles Ansinnen«, sprach der Dombaumeister mehr zu sich selbst als zu dem Engländer. Dessen Ansprache hatte ihn beeindruckt, lag darin doch gewissermaßen seine eigene Denkweise. Krieg, einer der apokalyptischen Reiter, zeigte allzu oft sein grausames Gesicht. Gott hatte Adam nicht zum Morden aus Ton geformt. Die Bestimmung des Menschen war es, Gutes zu tun, Schönes zu schaffen. Parler selbst hatte sich in diesen Dienst gestellt und sein Leben dem Bau solcher Werke geweiht, die das Antlitz der Erde nicht verstümmelten, sondern verzierten: Kathedralen. Er fasste einen Entschluss: »Nun gut. Ich stelle Euch ein. Meldet Euch in der Bauhütte der Steinmetze, gleich hier, schräg gegenüber. Richtet dem Meister meine Empfehlung aus, er soll Euch die
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