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Die Knochentänzerin

Die Knochentänzerin

Titel: Die Knochentänzerin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Franz-Josef Körner
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hatte, sein Urteilsvermögen.
    Als sie zurückkam, trug sie ein minzgrünes Unterkleid aus chinesischer Seide, dessen Preis einem Palazzo etwas abseits vom Canal entsprach, darüber ein goldenes Brokatgewand, Schuhe, die ausnahmslos aus Rubinen und Smaragden gefertigt schienen, und Goldschmuck im Wert einer Kriegskasse, mit der man problemlos einen Kreuzzug finanzieren konnte.
    »Deine Schönheit überstrahlt selbst den Schein der Sonne«, kommentierte er lahm. Sein Rücken schmerzte, und er rieb sich die Schläfen.
    Aluicha wirkte so frisch, als hätte sie nicht ein tagelanges An- und Auskleidemartyrium hinter sich, sondern wäre gerade erst einem erfrischenden Bad entstiegen. Nur ihre Mundwinkel verrieten, dass sie mit irgendetwas immer noch nicht zufrieden war.
    »Nein wirklich«, hakte Faliero nach. Eine Entscheidung musste her. »Du bist wunderschön, deine Augen …« Der Wein lähmte seine Zunge. »… dieses Gewand … die Farben, die Stoffe … dein Haar …«
    Aluicha griff nach oben. »Mein Kopf sieht aus wie ein Medusenhaupt mit einem Schlangennest obendrauf.«
    »Nicht doch. Dein Haar ist wunderschön. Komm her.« Faliero tätschelte seinen Oberschenkel.
    Doch Aluicha machte mit trotzigem Vorwurf, als sei alles nur seine Schuld, seine Hoffnung auf ein baldiges Ende der Kleiderschlacht zunichte. »Nichts passt zusammen: nicht mein Haar, nicht die Schuhe und schon gar nicht diese Ärmel, ich hätte mir gleich Posaunen überstülpen können.«

    Trotzdem nahmen die Dinge ihren Lauf, so wie es die Tradition befahl. Aluicha begleitete den zukünftigen Dogen von Venedig, Marino Faliero, am nächsten Morgen auf dem Weg zum Ziel ihrer beider Träume.
    Dieser Weg begann im Lido di San Nicolò, wo die Schiffsparade auf den goldenen
bucintoro
wartete, zu dem die
nobili
Faliero trugen. Leider geschah etwas, was zu dieser Zeit sehr selten vorkam: Der Himmel zeigte sich grau und düster, und kaum hatte sich die Seeparade auf der Lagune mit Litaneien, Gesängen und Gebeten in Bewegung gesetzt, begann es zu regnen, windlos, leise und doch mit sturer Beharrlichkeit.
    Glockengeläut und Jubelgesänge empfingen Faliero und seine junge Gemahlin an der Basilika di San Marco. Faliero entledigte sich seines Schuhwerks und betrat barfuß, wie es die Zeremonie verlangte, den Dom. Dort zelebrierte in gewohnter Theatralik Primicerius Nicolò Morosini, der Patriarch von Venedig, die heilige Messe. Faliero bekam davon wenig mit. Staunend betrachtete er immer wieder sein Weib, das im Glanz ihres zukünftigen Amtes erstrahlte wie ein überirdisches Wesen. Auch über die Menschen in der Basilika schweifte wieder und wieder sein Blick. Mein Volk, dachte er voll Stolz, ich bin jetzt der Herrscher über eine der größten Mächte des Abendlandes. Nur noch eine kleine Weile – und dann bestimme
ich
den Lauf der Dinge.
    Endlich war die Messe vorüber, und Faliero empfing am Altar des heiligen Markus den
baculum,
das Löwenbanner, und schwor den Eid auf die heilige Kirche der Serenissima.
    »Der Kuss sei ein Zeichen, das Euch zum Stellvertreter San Marcos auf Erden macht!«, tremolierte der Primicerius, während Faliero sich vorbeugte und die Markusreliquie küsste.
    Unter Jubelgesängen des Volkes verließ der Festzug schließlich die Basilika und begab sich trotz des anhaltenden Regens in den Innenhof des Dogenpalasts. In seinem Goldgewand erklomm Faliero die Stufen der breiten Festtreppe. Dort stand er nun und blickte im Augenblick des Triumphs hinab. Die Augen Hunderter Menschen waren auf ihn gerichtet. Seltsamerweise kam ihm gerade in diesem Moment das Begräbnis Pietro Dandolos in den Sinn. Ebenso groß war die Menschenmenge da gewesen, doch statt Jubel hatte es Wehklagen gegeben. Er selbst hatte mit neun anderen den Sarg getragen, sein verräterisches Herz hinter einem Mantel aus Demut und Trauer verborgen. Kein Mensch wäre auf die Idee gekommen, dass sein Verrat Dandolo ins Grab gebracht hatte. Und noch etwas anderes beschäftigte ihn beinahe ohne Unterlass: Sinead, die rothaarige Irin, die er so begehrt hatte – die durch sein Urteil auf dem Scheiterhaufen hätte sterben sollen –, dieses Weib war in Prag plötzlich vor ihm gestanden, als habe sie der Leibhaftige persönlich zur Ermordung des Dogen geführt. Er hatte lange über ihr Erscheinen nachgegrübelt, doch am Ende war ihm die Logik klargeworden: Dort, wo der Engländer sein Unwesen trieb, war natürlich auch sie nicht weit.
    Zwei Mitglieder des Großen Rats stiegen nun

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