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Die Knochentänzerin

Die Knochentänzerin

Titel: Die Knochentänzerin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Franz-Josef Körner
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geistigen Auge auf. Es dauerte eine Weile, bis er bemerkte, dass Aluicha ihn von der Seite betrachtete. Er drehte sich zu ihr, ihre schwarzen Augen waren unergründlich.
    »Du bist wach? Warum schläfst du nicht?«
    Sie legte ihren Kopf auf seine Schulter. »Ich bin jetzt die Dogaressa von Venedig. Wie soll ich da schlafen?«
    »Wenn du nicht schläfst, wirst du faltig und hässlich.«
    Sie rückte ihre Wange auf seiner Schulter zurecht und gurrte: »Wenn ich einmal Falten bekomme, bist du längst tot.«
    Faliero verzog den Mund und schnaubte. Sie konnte das süßeste Wesen sein und einem gleichzeitig Giftpfeile mitten ins Herz schießen. »Vergiss nicht, aus welchem Grund du jetzt Herrin von Venedig bist.«
    »Herrin von Venedig?«, sie lachte verächtlich. »Das bin ich genauso wenig wie du Herr von Venedig.«
    »Was willst du damit sagen?«
    Sie stützte ihr Kinn in eine Handfläche und blickte ihn spöttisch an. »Nur das, was jedermann weiß. Nach außen hin bist du wie ein König. Aber das Dogenamt ist schon lange nicht mehr das, was es einmal war. Der Doge von Venedig ist zum Hündchen des Großen Rats geworden, das schön brav Stöckchen holen muss, wenn es befohlen wird.«
    Faliero schüttelte den Kopf: »Ich verstehe immer noch nicht, was du mir sagen willst. War es nicht dein höchstes Ziel, mich im Amt des Dogen zu sehen? Jetzt bin ich es, und du bist die Dogaressa. Also, was willst du?«
    Aluichas Lächeln war so süß, dass es Faliero einen Schauer den Rücken hinunterjagte. Eine Fassade aus Zucker, hinter der blaues, blitzendes Eis verborgen lag.
    »Was willst du also noch?«, wiederholte er ungeduldig.
    Ihr Finger stupste seine Nasenspitze. »Was ich will? Aber das weißt du doch. Du hast es von Anfang an gewusst.«
    »Was?«
    Sie sank zurück auf seine Schulter und sprach mit leiser, liebevoller Stimme, beinahe wie eine Mutter, die ihrem Kind eine Geschichte erzählt, damit es schläft. »Sei nicht der Hofnarr des
maggior consiglio
. Bis gestern standest du ihm noch selbst vor, da hattest du mehr Macht als heute. Dieser Palazzo mit all seinem geschmacklosen Prunk ist nichts weiter als ein goldener Käfig, in den man dich gesperrt hat. Wenn du das verstanden hast, weißt du selbst, was du zu tun hast.«
    »Weißt du, was du bist?«, knurrte Faliero und gab sich gleich selbst die Antwort: »Du bist eine Hexe in der Verkleidung eines Engels.«
    Aluicha lächelte zufrieden und schwieg.
    Faliero wandte sich von ihr ab, und es klang, als spräche er zu sich selbst: »Also Hexe, was willst du von mir?«
    Ihr Engelsgesicht schwebte über ihm. Er spürte ihre Lippen an seinem Ohr, und ihre Worte strichen darüber wie ein Windhauch. »Hol dir die Macht, die dir zusteht«, flüsterte sie. »Lass dich nicht wie ein Eunuche herumkommandieren. Du bist ein Mann! Mein Mann. Du bist das Gesetz. Zeig es allen!«

43
    Mille viae ducunt hominem per saecula Romam
    V ersteh nix.«
    »Pilger. Wir sind Pilger. Auf dem Weg nach Rom, in die heilige Stadt.« William radebrechte mit Händen, Füßen und – wie es klang – auch noch in einem halben Dutzend verschiedener Sprachen.
    Sein Gegenüber, ein stämmiger Böhme mit ledernen Beinlingen und einem zusammengeflickten Überwurf aus vom Zahn der Zeit oder von den Zähnen irgendwelchen Ungeziefers zerfressenen Fellresten, blickte ratlos zwischen William und mir hin und her. »Verstehe nix. Nix Roma.« Der Böhme, mit pechschwarzem Borstenhaar und wucherndem Bartwuchs, deutete hinter sich. »Praha.« Dann wies er auf den an einen Baum gebundenen Ochsen und seinen im Fluss schaukelnden Kahn, in dem sich blökende Schafe drängten. »Schaf.«
    »Ich kann selbst sehen, dass du Schafe geladen hast«, murmelte William und wiederholte: »Rom! Roma!«
    »Nix Roma.« Der Böhme zeigte flussaufwärts und brummte irgendeinen unverständlichen Namen. Dann rieb er seine Daumen und Zeigefinger: »Zaplatit.«
    William schüttelte den Kopf: »Kein Geld. Nix bezahlen. Pilger!«
    »Nix zaplatit?«
    »Nein.«
    Ich überließ William und den Böhmen ihrer babylonischen Sprachenverwirrung, raffte mein Nonnengewand und stieg die Böschung hinunter zur Moldau. Die Schafe auf dem Kahn bewegten sich unruhig und glotzten mich an. Der Ochse graste. Der Fluss zog träge dahin, die Nachmittagssonne stand über den Hügeln. Nach unserer Flucht aus Prag waren wir ein paar Stunden dem Lauf der Moldau flussaufwärts gefolgt und hatten uns dann im Wald versteckt. Die furchtbaren Ereignisse spukten in meinem

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