Die Knochentänzerin
Kopf herum. Das schreckliche Feuer! Vor unseren Augen war der Doge von Venedig erstochen worden. Das Bild des Mörders hatte sich in mir eingebrannt. Dieser Mann beschäftigte mich ohne Unterlass. Woher kam er, was hatte ihn zum Morden getrieben? Er hatte nicht ausgesehen wie ein Räuber und Mörder – ein ruhiger, zielgerichteter Blick aus schwarzen Augen, die Kleidung dunkel, doch nobel. Er wollte nicht rauben oder stehlen. Er hatte nur ein Ziel: das Leben des venezianischen Königs. Und unser Cosmas? Von wem war sein Schicksal besiegelt worden? Von den Häschern des böhmischen Königs? Oder hatte Boleslav sich seinen Kopf geholt, ihn auf diesen Pfahl gesteckt, um allen seine Macht über Leben und Tod zu demonstrieren?
Einer Wahrheit musste ich mich jedenfalls stellen: Mein Weg vom Kloster auf Icolmkill bis hierher war von Knochen gesäumt. Seit meinem Tanz auf den Gebeinen des heiligen Donnan von Eigg war kaum ein Tag vergangen, an dem mich nicht Gevatter Tod begleitet hätte. Es war, als würde ich seither tagein, tagaus auf Knochen tanzen. Bemühte ich mein im Kloster gelerntes mathematisches Wissen, so könnte ich die Anzahl der vom Leben in den Tod Beförderten ins Verhältnis mit jenen Tagen setzen, die vergangen waren, und es wäre ein bemerkenswerter Schnitt. Ganz zu schweigen von jenen Toten, die William aus Geschäftsgründen unterwegs einzusammeln pflegte.
»Cailun!« Williams Stimme holte mich aus dem Totenreich zurück. »Komm, es geht los!«
Ich kletterte die Böschung hinauf. William und der Böhme warteten, sie waren sich einig geworden.
»Er nimmt uns mit«, erklärte William. »Allerdings konnte ich nicht verstehen, wie weit. Ich werde ihm helfen zu rudern oder den Ochsen anzutreiben, wenn es nötig ist.«
»Was hat der Ochse mit der Sache zu tun?«
William legte mitleidig den Kopf schief. »Muss ich dir das erklären, du unbedarfte Nonne? Es geht flussaufwärts. Gegen die Strömung muss man entweder rudern oder, wenn das Wasser flach genug ist, treideln.«
»Treideln?«
»Der Ochse zieht vom Ufer aus den Kahn. Das tut er aber nur, wenn man ihn dazu überredet.«
Jetzt verstand ich. Wir kletterten die Böschung wieder hinab. Der Böhme sprang auf das Boot, schob die blökenden und protestierenden Tiere zusammen und winkte mir. Widerwillig ließ ich mich zwischen den stinkenden Schafen auf einem Bänkchen nieder und beobachtete, wie der Böhme mit einem Tau ins seichte Wasser sprang, ans Ufer watete und dem Ochsen das Seil um den Hals band. Dann brach er einen Ast ab, rupfte das Laub herunter und zog dem Ochsen eins über, dass dieser lostrottete. William schob den Kahn von hinten an. Ruckend setzte er sich in Bewegung.
Es war eine mühsame Reise flussaufwärts und gefährlich noch dazu, denn an manchen Stellen gebärdete die Moldau sich wie ein auskeilendes Schaf im Frühjahr. Es war eine elende Plackerei. Ständig wollte der Ochse angetrieben werden, andauernd lief das Boot auf Grund, und ich musste herausspringen und beim Schieben helfen.
»Auf Schusters Rappen wären wir schneller und müssten uns nicht so plagen«, maulte ich, als die tiefstehende Sonne am rotgefärbten Himmel das Ende des Tages ankündigte.
William half dem Böhmen, das Boot am Ufer zu vertäuen. Aus Seilen, Pflöcken und Brettern, die auf dem Kahn lagen, bauten sie auf der Wiese einen schmalen Pferch, in den sie die Schafe trieben. Währenddessen wurde ich zum Holzsammeln geschickt. Ich kehrte mit einem Bündel zurück. Bald knisterte ein Feuer, auf das der Böhme bedeutungsvoll wies: »Vlk«, brummte er dabei und rollte seltsam das l. »Wolf.«
Ich schickte William einen fragenden Blick. Der grinste zaghaft und ließ seine Augen vom Böhmen zum Feuer und zum Wald wandern. »Er meint, die Schafe locken vielleicht die Wölfe an, doch das Feuer schreckt sie wieder ab. Du musst dir keine Sorgen machen.«
»Mach ich nicht«, stotterte ich. In dieser Nacht tat ich kein Auge zu. Ich lauschte in den Wald, dessen schwarze Schatten von Stunde zu Stunde immer näher rückten, bis sie mich verschlangen.
»Jetzt kannst du laufen«, stellte William fest.
Mit einem festen Händedruck hatten wir uns vom Böhmen verabschiedet, nachdem wir geholfen hatten, die Schafe wieder auf den Kahn zu laden. Sein Weg führe auf einem Seitenarm der Moldau in eine andere Richtung, hatte er mit Händen und Füßen erklärt. So zumindest interpretierte William seine unverständliche Rede.
Also stapften wir in jene Richtung los, in die
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