Die Knochentänzerin
der haarige Arm des Böhmen gezeigt hatte. Schon bald meldete ich Zweifel über den eingeschlagenen Weg an. Genauer gesagt gab es keinen Weg. Wir kämpften uns durch dichten, endlosen Wald, unter dessen wucherndem Dach uns die Sonne, die uns angeblich den Weg wies, nur als schemenhafter, fahler Schein begleitete.
»Wir werden uns hoffnungslos verlaufen«, jammerte ich, während Dornengewächse nach meinen Füßen griffen und Zweige wie Schlangen in mein Gesicht schnellten. Brütend dampfte die Hitze um uns herum. »Und außerdem werden wir verhungern und verdursten«, fügte ich schnaufend hinzu.
Williams Unbekümmertheit hingegen leuchtete wie ein Stern. »Ach was«, unterbrach er für die Antwort sein fröhliches Pfeifen und befreite meinen Franziskanerinnenhabit von einer Astspitze, die es gefangen gehalten hatte.
»Überhaupt habe ich diese immer wiederkehrenden, gestohlenen Nonnengewänder satt, klau mir endlich einmal andere Kleider!«, schimpfte ich, woraufhin William frohgemut erwiderte:
»Einmal Nonne, immer Nonne.«
Ich war erleichtert, als der Urwald sich endlich lichtete und wir einen Bachlauf fanden. Ich befahl William, sich umzudrehen, streifte den Habit ab und setzte mich bis zu den Hüften in das klare, kühle Nass. Doch William scherte sich wenig um meine Anordnung, entledigte sich seiner Kleider, und schon hockte er nackt, wie Gott ihn geschaffen hatte, neben mir. Wütend schleuderte ich ihm einen Schwall Wasser ins Gesicht. »Hab ich dich nicht gebeten, mich in Ruhe baden zu lassen?«
William prustete lachend, tauchte seine Hände ein und ließ seinerseits Wasserfontänen auf mich einprasseln, so dass mir keine Zeit zum Atemholen blieb. Unsere Schlacht wurde immer hitziger, bald waren seine Hände und meine nicht mehr ausnahmslos im Wasser, unsere Lippen brannten, eine andere Hitze als die des Waldes ergriff Besitz von mir, und auch die Ursache von Williams Keuchen lag bald nicht mehr ausschließlich im Wasserschöpfen.
»Nun sind wir tatsächlich Mann und Frau.«
Hatte der Bach dies gemurmelt oder William, auf dessen Schulter mein Kopf ruhte? Trotz Williams knöcherner Dürre lag meine Wange perfekt in einer weichen Kuhle seiner Schulter, als sei sie eigens für die Konturen meines Gesichts geschaffen. Der Waldboden schmiegte sich kühl an meinen Rücken. Ich war verwirrt und auch erschrocken über das, was wir getan hatten. War es nicht eine große Sünde, wie es die Nonnen immer gepredigt hatten? Wie konnte es dennoch geschehen?
»Der Teufel hat mich schwach werden lassen und verführt«, flüsterte ich ängstlich und gleichzeitig erstaunt, warum mich so ein warmes Glücksgefühl durchströmte.
»Unsinn, ich war es«, tönte William zwinkernd.
»Die Nonnen drohten immer, wenn ich das tue, komme ich in die Hölle.«
»Mir wäre es das wert«, gab William sich generös.
Ich holte mir das Bild vor Augen, wie die Nonnen die Hölle beschrieben hatten und wie dieser Ort in den Büchern erklärt wurde. »Ich bin mir nicht ganz sicher«, murmelte ich furchtsam.
William pustete eine Haarsträhne aus meinem Gesicht. »Schluss jetzt damit. Geschehen ist geschehen. Wir müssen weiter.« Gar nicht so sanft schob er mich zur Seite, stand auf, kletterte in die Beinlinge und zog den schmutzigen Kittel über. Dann warf er mir meinen Kleiderklumpen auf den Bauch. »Zieh dich an. Wir müssen los.«
Die Gegend wurde bergig, wir gelangten zu armseligen Dörfern, deren Häuser an kahlen Hängen wie schwarze Fliegen am Aas klebten, und als wir endlich den Fluss erreichten, der uns – wie William behauptete – zum Meer führen würde, trafen wir auf einen seltsamen, zwergartigen Mönch. Beinahe noch eigenartiger als sein winziger Wuchs erschien uns seine Kutte. Erwartete man bei kleinen Menschen gewohntermaßen zu große Kleidung, so war es bei diesem kahlköpfigen Gnom umgekehrt. Der Habit war viel zu kurz. Sichelkrumme, dürre Beinchen säbelten sich am Flussufer ihren Weg. Hingegen schien der schneeweiße Bart bemüht, die zu knappe Mönchskutte wieder auszugleichen, denn der Haarwuchs aus dem Gesicht des Winzlings wucherte beinahe bis zum Boden.
»Gott zum Gruß.« William hob die Hand. »Wohin des Wegs, ehrwürdiger Mann?«
Die Sichelbeine hielten inne. Ein listiges Augenpaar musterte uns, und irgendwo unter dem gewaltigen Bart murmelte es: »Was geht es Euch an, nach Rom.«
»Oh!« William zeigte sich erfreut und deutete auf mich. »Die ehrwürdige Schwester und ich sind ebenfalls Pilger auf
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