Die Knochentänzerin
dich bereit und zieh dein Festkleid an! Hier kommt Cei, der Fährmann und Sänger, mit seinen Freunden!«
46
Eine Stadt wie in Gold gegossen
S trömungen oder der Wind trieben uns weg von den Kirchtürmen und Palastkuppeln, und bei näherem Betrachten war zumindest der Teil Venedigs, an dem wir anlandeten, weder in Gold gegossen, noch hatte sich die Stadt für unseren Empfang festlich geschmückt.
Ich raffte mein Nonnengewand, watete durch Dreck und Unrat und blickte mich enttäuscht um. »Wo sind die goldenen Paläste und prunkvollen Kirchen, die wir gesehen haben?«, fragte ich Cei enttäuscht. Ich verzog angewidert das Gesicht. Es stank wie aus tausend Abtritteimern.
William stieß einen aufgedunsenen Fischleib zur Seite, kletterte neben mir ans Ufer und murmelte mit einer Kopfbewegung nach Osten: »Muss wohl irgendwo da drüben sein.«
Cei trat hinzu und kommentierte unsere Ankunft zwischen verrotteten Kähnen, verfallenen Schuppen und brandgeschwärzten Mauern, wo die Ratten herumhuschten, mit den Worten: »Wir sind am dreckigen Hintern Venedigs gelandet.«
»Und nun?«
»Nun gilt es, sich so rasch wie möglich mit den Gegebenheiten dieses Ortes vertraut zu machen«, erklärte Cei.
»Warst du schon einmal hier?«, fragte William.
»Selbstverständlich.« Cei ließ sich auf einem von Meerespocken vernarbten Balken nieder und griff nach seinem Instrument. »Nun höret, was ich euch singen werde – von meinem ruhmreichen Auftritt vor der Königin Venedigs, die sich daraufhin unsterblich in mich …«
»Jetzt nicht«, wehrte William höflich ab. Er beschattete die Augen und ließ seinen Blick über die Lagune schweifen. »Dies ist nicht der rechte Ort für uns. Lasst es uns weiter drüben noch einmal versuchen.« Er bückte sich zu einem gestrandeten Kahn und zog eine vom Seewasser zerfressene Planke heraus. »Wenigstens haben wir jetzt ein zweites Ruder. Zurück in den Kahn.«
»Schon besser.« Cei nickte zufrieden. Die edlen Hölzer des Anlegestegs glänzten frisch gewaschen, ein polierter Handlauf, der verhindern sollte, dass ein Seefahrer ins Hafenbecken stürzte, führte zur gepflasterten Mole.
Ich riss die Augen auf. Mir schien, als wären wir in einer Märchenwelt mit goldenen Kuppeln, Marmorsäulen, eleganten Türmchen und Mosaikfassaden gelandet.
»Das kann nicht dieselbe Stadt sein«, flüsterte ich ehrfurchtsvoll und erwartete jeden Augenblick Könige, Prinzessinnen und Ritter in silbernen Rüstungen zu sehen. Galant reichte William mir die Hand, um mir vom niedrigen Kahn auf den Steg zu helfen. Die Bilder düsterer schottischer Städte, vom aus allen Nähten platzenden London oder jenem Prag, das eine einzige Baustelle gewesen schien, tauchten vor meinem geistigen Auge auf. Ich blieb auf der steinernen Mole stehen, blickte auf den Campanile, Kirchen und Paläste und wäre am liebsten vor Bewunderung niedergesunken. Atemlos stieß ich hervor: »Noch nie hab ich so viel Schönheit und Pracht gesehen.«
»Stadtwachen!«, zischte in diesem Augenblick Cei.
William drehte sich hastig um. Hinter uns lag der blankgeputzte Anlegesteg. Von einem großen Platz her rannten die Wachen mit gesenkten Hellebarden auf uns zu.
»Ich glaube kaum, dass sie uns willkommen heißen.«
»Weg hier!«, raunte Cei. Ich sah ihn davonflitzen, bevor die Wachen ihn erwischten. William und mir erging es schlechter. Der Moment des Zögerns genügte. Sie packten uns und schleiften uns davon.
Faliero betrachtete die Szene von einem Fenster des Dogenpalasts aus. Obwohl er der Gefangennahme der beiden Gestalten scheinbar nur flüchtige Aufmerksamkeit schenkte – und obwohl einer dritten Person die Flucht gelungen war –, konnte er nun seine Erregung kaum verbergen. Denn als man die Gefangenen in den Hof gebracht hatte, gab es für ihn keinen Zweifel mehr: Sinead und ihr Komplize waren, aus welchen Gründen auch immer, nach Venedig zurückgekehrt. Unwillkürlich rieb Faliero sich die Hände und murmelte: »Ein zweites Mal entkommst du mir nicht.«
»Bitte?« Leonardo Cantoni und Michele da Riva, die beiden Mitglieder des Großen Rats, sahen ihn fragend an.
»Nichts«, antwortete Faliero abwesend und befahl dem Kammerdiener: »Geh hinunter und lass die gefangene Nonne zu mir bringen, sobald die Signori gegangen sind. Aber untersuch sie vorher gründlich auf Anzeichen der Pest. Den Burschen sollen die Wachen ins Gefängnis werfen.«
Als der Diener verschwunden war, wandte Faliero sich wieder an die beiden
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