Die Knochentänzerin
Ratsmitglieder. Er lächelte entschuldigend: »Verzeiht. Immer wieder versuchen sich doch zwielichtige Gestalten in unserer Stadt einzuschleichen. Am Ende schleppt einer wieder die Pest ein. Diese waren besonders dreist oder, besser gesagt, dumm. Stellt Euch vor, sie legten mit ihrem Kahn ausgerechnet am Steg des
bucintoro
an.«
Cantoni und da Riva lachten pflichtbewusst.
»Zurück zu den wichtigen Dingen.« Faliero lächelte immer noch gewinnend. »Ich denke, wir sind uns einig: Etwas muss geschehen. Vieles, was in Venedig als über die Jahrhunderte gegeben angesehen wird, ist überkommen und verknöchert, ebenso wie – verzeiht, wenn ich es so offen sage – einige der Ratsmitglieder. Venedig verkommt zu einem altersschwachen Hai, der nach und nach alle seine Zähne verliert, aber immer noch glaubt, er sei der Herrscher der Meere, während sich selbst die kleinsten Fische über ihn totlachen.«
Cantoni schob seinen Schädel vor. Es sah aus, als luge er neugierig aus einem Fenster. »Die Gesetze zur Verteilung der Befugnisse in der Serenissima sind seit Jahrhunderten wie in Stein gemeißelt. Eine Umverteilung der Macht käme einem Todesurteil gleich.«
Faliero nickte ihm aufmunternd zu: »Ihr habt insofern recht, Leonardo, als niemand unbefugt alle Macht an sich reißen darf.«
»Ihr sagt es«, bestätigte Cantoni, und da Riva nickte zustimmend.
»Die Betonung liegt auf
unbefugt
«, erklärte Faliero.
»Nun – anders als unbefugt wird niemandem eine Bündelung der Gewalten gelingen.«
»Kein Vertreter des
maggior consiglio
wäre so dumm, einer solchen Umverteilung der Macht zuzustimmen«, fügte da Riva hinzu. »Warum sollte man sich selbst die Flügel stutzen, bis man nicht mehr fliegen kann?«
Faliero verschränkte die Hände auf dem Rücken und wanderte auf und ab. »Fangen wir anders an. Stimmt Ihr mir zu, dass Venedig derzeit politisch nur wie ein zahmer Löwe ist, dem man die Krallen und Reißzähne beschnitten hat?«
»Nun ja …«
»Während England und Frankreich die Welt unter sich aufteilen, begnügt sich die Serenissima damit, brav zuzusehen, wie Edward und Philipp die fette Beute einheimsen, während wir hoffen, dass für Venedig vielleicht auch noch etwas abfällt. Wollen wir uns wirklich damit zufriedengeben? Mit einem abgenagten Knochen?«
Die beiden Ratsherren tauschten einen zweifelnden Blick. Schließlich ergriff da Riva schulterzuckend das Wort: »Es mag richtig sein, wie Ihr es darstellt. Doch so ist es nun einmal. Der
maggior consiglio
hat sich gegen eine Einmischung in den Krieg der Franzosen und Engländer entschieden. Die Herren meinen, es sei viel wahrscheinlicher, dass sie sich mit der Zeit gegenseitig vernichten. Ich gebe zu, ich war und bin mit diesem Entschluss nicht einverstanden.«
»Ich auch nicht«, stimmte Cantoni zu.
»Dennoch gilt es, Mehrheitsbeschlüsse zu akzeptieren.«
»Da bin ich anderer Meinung.« Faliero blieb vor den beiden Senatoren stehen. Nun hielt er die Rede, die er an den Tagen zuvor schon sieben anderen Vertretern des
maggior consiglio
präsentiert hatte. Dazu verlieh er seiner Stimme die nötige Dramatik: »Lasst uns der Wahrheit Genüge tun. Alles, was zum Schaden – oder nicht zum Vorteil – der Serenissima gereicht, muss unterbunden werden. Oder wollen wir es so weit kommen lassen, dass alte, debile Männer in ihrem Starrsinn eine falsche Entscheidung nach der anderen treffen? Ich sage Euch, unsere Nachkommen werden uns verfluchen, wenn wir jetzt nichts unternehmen. Mögen andere zaudern und sich die Schuld für den Untergang der Serenissima auf die Schultern laden! Ich bin dazu nicht bereit! Warum ging einst das Römische Reich, das die ganze Welt umspannte, verloren? Ich sage es Euch: Weil einigen Senatoren zur richtigen Zeit der Mut fehlte, sich aufzulehnen und damit die Dinge selbst in die Hände zu nehmen! Wir – Ihr und ich – sind jetzt in der gleichen Lage. Wir sind die Männer, die über das Schicksal unseres Reiches entscheiden müssen. Denn die anderen sind dazu nicht in der Lage!«
Cantoni und da Riva fühlten sich sichtlich unwohl in ihrer Haut. Ihre Mienen spiegelten ihre Unschlüssigkeit wider. Faliero mochte vielleicht recht haben. Doch das Spiel war allzu riskant.
Da Riva fasste diese Überlegungen in Worte: »Ein Versuch, sich den Beschlüssen des
maggior consiglio
zu widersetzen, wird als Staatsstreich gewertet. Allen Beteiligten droht der Strick, dem Anführer die Enthauptung.«
Faliero verlieh dem Folgenden großen
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