Die Knochentänzerin
Nachdruck: »Es geht ganz und gar nicht darum, sich den gefassten Entschlüssen zu widersetzen. Es gilt, neue, andere Entscheidungen zu treffen.«
Cantoni schüttelte den Kopf: »Noch nie hat der Große Rat einmal gefällte Entscheidungen zurückgenommen. Er wird es auch diesmal nicht tun.«
Faliero seufzte gespielt: »Wollt Ihr mich nicht verstehen? Wir werden ganz anders vorgehen.«
»Wie denn?«
»Nun gut. Ich bitte Euch, hört mir genau zu. Also: Das Problem liegt darin, dass die Macht auf zu vielen Schultern verteilt ist. Das Ergebnis ist offensichtlich: Je mehr Köpfe, desto mehr Meinungen. Somit kann, wie man sieht, am Ende stets nur ein fauler Kompromiss stehen. Es wäre die Aufgabe des Dogen, den Dolch zu ziehen und in den Tisch zu rammen. Der Doge sollte sein wie ein König, mit allen Befugnissen, die wichtigen Dinge zu entscheiden – hart und rasch! Ich habe folgendes Bild vor Augen: Die Entscheidungen der Ratsmitglieder sind wie Sandkörner, die langsam durch ein Sieb rieseln und sich darunter wieder zu einem Brei vermischen. Die Beschlüsse eines Königs jedoch müssen sein wie ein scharfes Messer, das Falsch von Richtig trennt.«
Erschrocken schüttelte da Riva den Kopf: »Ihr wollt Euch zum König erheben? Das kostet Euch das Leben!«
Faliero fuhr unbeeindruckt in seiner Argumentation fort: »Nur ein Feigling scheut sich, sein Leben der eigenen großen Aufgabe, dem Wohl des Staates zu opfern. Versteht Ihr nicht? Es gibt nur zwei Möglichkeiten! Entweder man wird uns später einmal für unsere Feigheit verachten! Oder man wird uns wegen unseres Mutes verehren! Entscheidet selbst, wonach Ihr strebt.«
Faliero versuchte den Blick, den Cantoni und da Riva sich nun zuwarfen, zu deuten. In ihren Gesichtern las er einerseits Entsetzen über das, was sie soeben gehört hatten, andererseits schienen seine Worte noch etwas anderes zu bewirken. War es Neugierde? Überraschung oder gar eine gewisse Bewunderung für seine Kühnheit? Er riskierte alles und setzte nach: »Ich will die Karten auf den Tisch legen: Sieben verdiente Mitglieder des
maggior consiglio
stehen bereits fest auf meiner Seite. Ihr, und noch zwei andere – und wir haben die nötige Mehrheit, um die Dinge in die richtigen Bahnen zu lenken.«
Auf Cantonis Stierschädel traten Adern hervor. »Wer?«, wollte er wissen.
Faliero nannte sieben Namen.
Das Schweigen, das nun einsetzte, schien sich wie eine unheilvolle Wolke über ihren Köpfen auszubreiten. Faliero hörte draußen Schritte. Dann herrschte wieder Stille. Vermutlich waren dies die Wachen, die ihm die rothaarige Hexe brachten und nun warteten, bis sie vorgelassen wurden.
»Und wenn wir Euch verraten?«, fragte da Riva schließlich lauernd. Das Weiße trat auf den Knöcheln seiner verknoteten Hände hervor.
Faliero zuckte mit den Schultern, als sei diese Möglichkeit für ihn vollkommen ohne Bedeutung. »Ihr könnt selbst wählen, auf wessen Seite Ihr am Ende stehen wollt. So oder so.«
Wieder konnte man sehen, wie es in den Köpfen der Senatoren arbeitete. Cantoni zerfurchte seine hohe Stirn, und seine Lippen bewegten sich, noch bevor er tatsächlich sprach: »Gibt es bei dieser Sache noch einen weiteren Vorteil – ich meine, abgesehen von Ruhm?«
Wenigstens Cantoni schien verstanden zu haben. Dass Faliero das nun folgende Versprechen auch nach und nach den sieben anderen Ratsmitgliedern gegeben hatte, verschwieg er geflissentlich. »Ruhm ist erstrebenswert und edel, doch in der praktischen Sache wenig erträglich. Natürlich werde ich die Pfründe unter meiner Herrschaft gerecht verteilen – an diejenigen, die meine Gunst verdienen.«
»Was heißt das im Einzelnen?«
Faliero lächelte gönnerhaft: »Das heißt, dass jeder von Euch ein gebührendes Amt erhält, verbunden mit den entsprechenden Einkünften natürlich und einer erklecklichen Summe vorab.«
»Welches Amt?«, riefen Cantoni und da Riva beinahe im Chor.
»Ihr, Leonardo, seid von mir für das Amt des
commandante
vorgesehen.«
»Aber das haltet Ihr im Augenblick inne!«
»Ich gebe es an Euch ab.«
»Und ich?« Da Riva schob sich vor Cantoni.
Da wusste Faliero, dass die Fische im Netz zappelten, und er antwortete: »Für Euch, Michele, steht ein ebenso wichtiger Posten zur Verfügung. Euch werde ich zum obersten Richter Venedigs ernennen, mit allen Befugnissen, die ein solches Amt in sich trägt. Nun, was sagt Ihr? Welchen Weg wollt Ihr gehen. Den bisherigen – als einfache Ratsmitglieder, ausgestattet mit
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