Die Knochentänzerin
bescheidenem Einfluss und mäßigem Einkommen? Als diejenigen, die sich einmal vor dem Volk verantworten müssen, weil sie sich im entscheidenden Augenblick die Hosen vollgemacht haben? Oder als diejenigen, die Mut zeigten? Die kühn waren! Die in naher Zukunft den Lohn für ihren Wagemut ernten werden!«
Cantoni fasste als Erster den Entschluss. Er streckte die Rechte aus: »Ihr habt recht. Die Dinge können nicht bleiben, wie sie sind. Man muss den Mut und die Kraft haben, sie zu ändern. Ich bin dabei.«
Faliero ergriff die dargebotene Hand und schüttelte sie kräftig. »Danke. Ich danke Euch. Ihr werdet Euren Entschluss nicht bereuen.«
Da trat auch Michele da Riva vor, nahm ebenfalls Falieros Hand und erklärte: »Ich auch. Ich bin ebenfalls Euer Mann.«
Faliero spürte den Triumph wie eine heiße Woge, die über ihn hinwegrollte. Er hatte es so gut wie geschafft. Jetzt fehlten nur noch zwei Ratsmitglieder. Auch die würde er mit dem Versprechen von Geld und Macht auf seine Seite locken. Und Aluicha würde ihn niemals mehr einen Feigling heißen. Voller Hochgefühl verabschiedete er Cantoni und da Riva. Dann rief er die Wachen und befahl ihnen, die Gefangene hereinzubringen. Beinahe stockte ihm der Atem, als er sie sah. Doch gleich hatte er sich wieder in der Gewalt.
»Sinead«, sagte er lächelnd. »Wie schön, dass du mir noch einmal die Ehre erweist. Unser letztes Treffen endete allzu abrupt. Wollen wir reden?«
47
Der Doge der goldenen Stadt
S inead? Warum nennt er mich beim Namen meiner Mutter?
Zunächst war ich wie erstarrt. Wie ein Unwetter zogen die Bilder von jener Nacht in Prag wieder auf. Das Feuer! Die dunkle Gestalt, deren Augen auf mir brannten, bevor der Mord geschah. Und dann dieser Mann, der nicht einschritt, als das Messer niederfuhr, stattdessen, als der wahre Mörder geflohen war, dann schrie, wir – Cosmas, William und ich – hätten die schändliche Tat begangen. War dieser Mann nun der neue Doge der goldenen Stadt, in der man uns gefangen nahm, kaum dass wir ihren Boden betreten hatten? Ich stand da, als hätte mich das Medusenhaupt gebannt, mein Blick zunächst auf die goldenen Spitzschuhe gerichtet, auf denen Rubine und Smaragde funkelten. Endlich wurde ich der ganzen Erscheinung des Mannes gewahr. Auch sein Gewand war mit Gold durchwirkt, die Finger mit Ringen geschmückt, das Gesicht eine kühle Maske, hinter der Machthunger, Grausamkeit und Verachtung lauerten – doch auch ein Schimmer von Zweifel und Verwunderung.
»Cailun«, sagte ich und blickte entschlossen in seine grauen Augen. »Wo ist mein Gemahl, und warum habt Ihr uns in Prag des Mordes beschuldigt?«
»Cailun?« Sein Lächeln war eine bloße mechanische Bewegung der Lippen. Nicht einmal die Falten um die Augen verzogen sich dabei. »Du fragst nach der Idiotin? Die starb lange vor deinem geplanten Tod, weil sie nicht preisgeben wollte, was sie wusste.«
»Idiotin?« Ich verstand gar nichts mehr. Sprach er von einer anderen Frau, die er Idiotin nannte – die offensichtlich unter der Folter gestorben war? Ich schüttelte den Kopf. »Ich heiße Cailun. Und wer seid Ihr?«
Er lächelte sein kaltes Maskenlächeln. »Du weißt genau, wer ich bin. Ich bin Marino Faliero, damals Ratsmitglied und oberster Richter Venedigs. Und nun Doge dieser Stadt.«
»Dann bitte ich Euch, sagt mir, warum Eure Wachen uns gefangen nahmen. Und wohin wurde mein Gemahl gebracht? Ich möchte zu ihm.«
»Dein Gemahl? Diesen Wunsch werde ich dir vielleicht bald erfüllen.« Der König begann um mich herumzuschleichen. Dabei verriet sein Gang Überraschendes. Von Mal zu Mal sah ich darin eine wachsende Unsicherheit. Er blieb stehen, ließ einen Fuß schweben, zog ihn zurück und schob ihn wieder vor. Er setzte ihn auf, als trete er nicht auf glänzendes Mosaik, sondern auf trügerischen Boden. »Sinead!«, beharrte er auf dem Namen, in einer Art und Weise, als versteife er sich dabei auf eine Wahrheit, derer er sich nicht mehr sicher wähnte. »Warum bist du zurückgekehrt? Du musst doch wissen, was dich hier erwartet?«
»Ich weiß nicht, wovon Ihr sprecht. Ich war noch nie in dieser Stadt.«
»Sinead!« Er stampfte mit seinem goldenen Schuhwerk auf, dass es von den Wänden hallte. »So viele Jahre ist es her!« Er riss mir die Nonnenhaube herunter. »Dein Kopf war damals zur Hinrichtung geschoren – ich hatte vergessen, dass ich dann dein Haar nicht mehr mit dem Feuer vergleichen konnte.«
Meine Furcht wuchs sich zum Ärger aus.
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