Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Die Knochentänzerin

Die Knochentänzerin

Titel: Die Knochentänzerin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Franz-Josef Körner
Vom Netzwerk:
Himmel«, grollte Gradenigo hilflos. Dann breitete sich wieder Schweigen im Raum aus. Nur Aluichas Schluchzen war zu hören.
    »Und jetzt?«, fragte er dann vorsichtig.
    »Jetzt?« Aluicha schniefte. »Jetzt bin ich mir nicht mehr sicher. Ich habe ein Gespräch zwischen Marino und Calendario belauscht. Marino behauptete, er habe die Hure nur aus Berechnung hofiert, um einen Betrug aufzudecken. Ich wollte den Brief, den ich in die
bocca di leone
geworfen habe, zurückholen, aber es war zu spät. Was soll ich denn nur tun? Ich dachte doch, er wollte mich entehren! Und damit unsere ganze Familie!«
    Gradenigo presste die Lippen zusammen. Natürlich hatte seine
figlia,
sein Töchterlein, aus der Sicht des Vaters, irgendwie recht. Er seufzte und holte ein Pergament hervor. »Der Zufall wollte es, dass Sparacio deinen Brief ausgerechnet mir übergab. Hier ist er.«
    Mit Hoffnung in den Augen griff Aluicha danach. »Papa, heißt das, ich kann es wieder ungeschehen machen und alles bleibt beim Alten?«
    Gradenigo zog den Brief zurück. »Nein. Ich denke, ich werde dein Schreiben dem Rat trotzdem vorlegen.«
    »Aber …«
    »Es gibt etwas, was du nicht weißt. Vendramin ist Falieros Schergen entkommen. Sie waren allerdings zu feige, ihm ihr Versagen zu gestehen. Vendramin hockt jetzt in Florenz und strickt mit Sicherheit am Untergang deines Mannes. Es wäre auch deiner. Deckst du aber den ganzen Verrat auf, wird dir und allen Gradenigos Ehre und Ruhm zuteil. Du hast den Brief zur richtigen Zeit geschrieben.«
    »Du meinst …«
    »Ja.« Gradenigo straffte die Schultern. »Du musst dir nur eins merken: Eine Verwicklung meinerseits in Falieros Machenschaften hat es niemals gegeben. Sonst könnte uns das alle den Kopf kosten. Ich hoffe, du hast das verstanden?«
    »Ja, Papa.« Aluicha weinte zum Herzerweichen.

54
    Es werde Licht
    W enn es stimmt, dass der Herr, als er die Erde erschuf, sprach:
Es werde Licht
– dann liegt dieser Ort außerhalb von Gottes Welt. Und sollte es wahr sein, dass der schlimmste Ort die Hölle ist, so hat es dort nie Feuer gegeben. Denn Feuer bedeutet Licht. Doch hier herrschte schwarze, undurchdringliche, alles verschlingende Finsternis. Ich hielt meine Hand dicht vor die Augen, ich konnte sie spüren und riechen, sah aber nichts. Zitternd lehnte ich am feuchten Mauerwerk und stand mit bloßen Füßen in knöcheltiefem Wasser. Es war nicht der erste Kerker, in den man mich geworfen hatte. Doch gewiss der schrecklichste. Und diesmal war ich allein. Sie hatten mich von William getrennt.
William, wo bist du?,
wollte ich schreien,
du musst doch bei mir sein!
Doch ich blieb stumm, als hätte die undurchdringliche Schwärze sogar die Macht, meine Worte zu ersticken.
    Plötzlich erschrak ich furchtbar. Eine Stimme hallte im schwarzen Nichts.
    »Noch ein Mensch in dieser Hölle? Willkommen.«
    »Wer … wer seid Ihr?«, stotterte ich flüsternd.
    »Eine Frau? Wer ist so grausam und wirft eine Frau in dieses Loch?«
    Die Stimme war nicht weit weg von mir, vier, allerhöchstens fünf Armlängen. Ängstlich drückte ich den Rücken näher an die kalte, feuchte Wand. »Der Doge«, flüsterte ich und wiederholte: »Wer seid Ihr?«
    »Tut mein Name etwas zur Sache? Vielleicht bist du ein Spion und willst mich nur aushorchen.«
    »Bestimmt nicht. Könnt Ihr das nicht hören?«
    »Es gibt Menschen, die können sich gut verstellen«, klang es aus der Finsternis, gefolgt von einem kurzen Lachen. »Aber es stimmt, wie ein Spion klingst du nicht. Eher wie ein verängstigtes Mädchen. Wer bist du?«
    »Cailun.« Ein Kratzen in meiner Kehle erstickte fast das Wort, ich räusperte mich und wiederholte: »Cailun.«
    Stille.
    »Warum sagt Ihr nichts mehr.«
    »Cailun? Bist du sicher?« Nun klang seine Stimme ganz anders. Unsicher, als hätte ihn mein Name erschreckt.
    »Ob ich sicher bin?« Jetzt lachte ich, doch es klang mehr wie ein Husten. »Ihr fragt mich, ob ich mir meines eigenen Namens sicher bin? Vielleicht nach ein paar Tagen in dieser Finsternis nicht mehr. Aber jetzt schon noch.«
    Zögernd kamen nun die folgenden Worte: »Es ist nämlich so, dass ich einen Menschen kenne, der so heißt. Cailun, es ist irisch und bedeutet
Mädchen

    »Ihr kennt eine Cailun?« Ich musste schlucken und spürte, wie mein Herz anfing, heftig zu schlagen, so laut, dass ich mir sicher war, er konnte es in dieser Dunkelheit hören. »Wer ist … Eure Cailun?«
    »Sie ist meine Tochter.«
    Es konnte nicht sein! Es war unmöglich! Ich

Weitere Kostenlose Bücher