Die Knochentänzerin
Tag verging über einer düsteren, abfallenden Hochebene. Nebelfelder waberten zwischen moosüberwucherten Felsbrocken und vom Wind gekämmten Grasflächen. Niedrige Büsche klammerten sich in den Boden wie verkrüppelte Menschen. Dies war die Szenerie für eine Hinrichtung. Dunkle, fellbehangene Gestalten gaben das Publikum dafür. Der vermummte Henker hatte gerade das Schwert aus dem Richtblock gezogen und in den Korb darunter gegriffen, um den Zuschauern den abgeschlagenen Kopf zu zeigen, den er an den Haaren hielt. Der schwebte nun in seiner Hand, mein Schrei hatte den Henker innehalten lassen. Alle Augen waren auf William und mich gerichtet. Auch die des Kopfes. War es eine Sinnestäuschung, oder blickten sie wirklich flackernd und flehend in meine Richtung, bevor sie erloschen?
»Sie hat mich angesehen«, flüsterte ich entsetzt.
»Unsinn, still«, knurrte William zwischen den Zähnen, doch auch er ahnte, dass es jetzt egal war, ob ich etwas sagte oder nicht. Das Publikum der Hinrichtung näherte sich geschlossen mit bedrohlicher Langsamkeit. Ich wollte zurückweichen und wäre abgestürzt, hätte William mich nicht gehalten. Es waren ein gutes Dutzend Männer, mit schmutzigen Schafsfellen als Überwürfen. Der größte von ihnen, ein wahrer Hüne, hatte sein Haupt gar mit einem Widderkopf gekrönt, die gedrehten Hörner ließen ihn noch furchterregender erscheinen.
»Oh, oh!«, machte William, dessen Rettungsgriff sich in eine Umklammerung verwandelte. Dann begann er hektisch in einem unverständlichen Kauderwelsch auf die Gestalten einzureden. Der Gehörnte gab in gleicher Weise Antwort, und ich spürte an Williams nachlassender Umarmung, dass sich die Dinge vielleicht doch noch zum Besseren wenden könnten. Zumindest für uns.
»Was sagt er?«, zischte ich ängstlich.
William winkte ungeduldig ab und plapperte weiter. Dabei deutete er abwechselnd hinter sich und auf mich. Der Widderkopf, dessen Gesicht beinahe vollständig von schwarzem Bartwuchs zugewuchert war, antwortete erneut und wandte sich dann an seine Kumpane. Während sie sich berieten, zischte ich wieder zu William.
»Wer sind die? Was redest du mit denen?«
William wirkte einigermaßen beruhigt. »Sie scheinen nichts Böses im Sinn zu haben.«
»Na ja.« Ich schielte an der Gruppe vorbei zum Henker, der gerade den abgeschlagenen Kopf auf eine Stange steckte.
»Ich meine, mit uns. Sie sind Ritter des Inselfürsten. Der hat die Hinrichtung befohlen.«
»Ritter? Mit Schafsfellen als Rüstungen?«
»Von mir aus können sie sich Fischhäute umhängen, solange sie uns nichts anhaben.«
Ich wollte gerade etwas erwidern, als der Gehörnte vortrat. Nun sprach er Gälisch, es klang, als rollten Felsbrocken aus seinem Mund, und es hieß in etwa: »Folgt uns. Wir bringen Euch zum Lord.«
Es wurde ein geisterhafter Zug. Voran schritt der Henker mit dem aufgespießten Haupt. Einige der Männer hatten Fackeln angesteckt, die zischten, rußten und stanken. Die Flammen tanzten wie qualmende Irrlichter über ihren Köpfen. William trug den Knochensack. Im Nieselregen senkte sich die Dämmerung auf das abfallende Plateau.
»Wo sind wir hier gelandet?«, flüsterte ich.
»Colbhasa«, kam die einsilbige Antwort.
»Nun sprich doch in ganzen Sätzen. Ist dies der Ort, zu dem du wolltest?«
»Nicht ganz.«
»Der Sturm kam also nicht aus Westen.«
»Doch. Aber …«
»Aber?«
»Er trieb uns nicht nach Norden, sondern nach Süden.«
Ich unterdrückte ein hämisches Lachen. »Welch navigatorische Meisterleistung! William der Seefahrer!«
»Es war der Sturm«, knurrte er.
»Und nun?«
Er zuckte mit den Schultern und mimte den Philosophen: »Nun sind wir eben hier.«
»Das ist wahr. Was aber, wenn diese schafsfellbemäntelten Ritter das Gleiche mit uns vorhaben wie mit dieser Frau?«
William erwiderte nichts.
»Wir trotten wie Lämmer hinter dem Schlachter.«
Wieder hielt er eine Antwort für überflüssig. In der Dunkelheit tauchten die Umrisse einer Burg auf. Eine Schar betrunkener Maurer mochte dieses traurige Werk erschaffen haben. Der grobe Turm stand krumm wie kurz vor dem Umfallen, die Mauern neigten sich schief wie ein gestrandetes Schiff. Weder Burggraben noch Zugbrücke schmückten das Kastell. Ein von den Stürmen gerupftes Banner zappelte im Wind.
»Hier müssen alle Geister Schottlands versammelt sein«, flüsterte William und fasste den Knochensack fester.
»Mir genügen schon die Lebenden«, gab ich ebenso leise
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