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Die Knochentänzerin

Die Knochentänzerin

Titel: Die Knochentänzerin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Franz-Josef Körner
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zurück.
    Ächzend schwang das Burgtor auf. Der enge Hof, den wir betraten, entsetzte gleichermaßen Augen und Nase. Er war Schafstall, Hühnerhof und Schlachtstelle in einem. Bockgestank wetteiferte mit Ausscheidungsschwaden und süßlichem Blutgeruch. Die eingepferchten Viecher blökten und glotzten zu den an den Hinterläufen aufgehängten, halb abgehäuteten Kadavern ihrer Artgenossen. Dazwischen rannte gackerndes Federvieh herum. Während der Henker die Stange mit dem Haupt der Geköpften in den Hof pflanzte, verschwanden die anderen Männer in einem Holzverschlag. Nur der Gehörnte blieb zurück und winkte uns, ihm über eine ächzende Treppe zum oberen Stock zu folgen. Dort tat sich ein düsterer, saalartiger Raum auf. Zögernd traten wir ein. Hier stank es beinahe noch erbärmlicher als im Hof. Zwei Fackeln qualmten an den Wänden, die mit Schafsfellen und Widderköpfen verunstaltet waren. Eine zusammengesunkene Gestalt kauerte in einer Art Sessel. Um ihn herum lagen fünf ausgewachsene Wolfshunde, die bei unserem Eintreten gleichzeitig anfingen zu knurren. Es klang wie ein rollender Donner.
    Während ich erschrocken zurückwich, trat der Widderkopf vor. Die Gestalt im Sessel richtete sich auf. Es war ein alter Mann. Nur noch wenige weiße Haarsträhnen hingen von seinem mit Altersflecken gesprenkelten Schädel. Eine Hakennase ragte wie ein Krummsäbel aus dem vertrockneten Gesicht. Die Augen stachen, die Lippen waren Striche. Knochige Hände lagen wie Habichtskrallen über den Stuhllehnen aus Horn. Das Gewand des Alten bestand aus dunkelblauem, samtartigem Stoff, zusammengehalten von einem schmalen, gezackten Gürtel.
    Der Alte hörte sich ungerührt an, was der Widderkopf ihm berichtete. Dann richteten sich seine eisgrauen Augen auf mich. »Tritt näher.«
    Überrascht vom reinen Gälisch, das er sprach, und von der Klarheit seiner Stimme, gehorchte ich.
    »Ein so schönes Kind wie dich hat meine Insel wohl noch nie gesehen.« Die Worte kamen aus einem schwarzen Loch, aus dem dunkle spitze Zähne ragten. Seine Augen waren wie Finger, die über mein Gesicht, meinen Körper tasteten. Die Röte schoss mir in die Wangen. Dies schien ihn zu erfreuen, denn er löste seine Krallen von den Lehnen und klatschte begeistert.
    »Eine errötende Jungfrau! Nicht der Sturm hat dich hierhergebracht, Fortuna selbst muss es gewesen sein.«
    »Herr …«‚ hörte ich Williams Stimme neben mir.
    »Still.« Der Alte wedelte mit der Hand, wie um eine lästige Fliege zu verscheuchen. »Nimm deinen Sack und verschwinde. Du störst hier nur. Lass dir etwas zu Essen geben.« Wieder winkte er ungeduldig. »Na, mach schon.«
    William trat zögerlich den Rückzug an. Einer der Hunde hob die Rute und furzte. Die Augen des Alten glitten immer wieder von meinen Füßen bis zum Scheitel. Seine Zunge, dünn wie ein Wurm, kroch dabei über seine Lippen.
    »Ich bin Lord Eachann. Colbhasa ist mein Reich. Hier habe ich allein das Sagen. Verstehst du das?«
    Ich nickte.
    Er schob seinen Kopf näher. »Es trifft sich gut, dass du hier gelandet bist. Sehr gut. Mir ist nämlich eine Frau abhandengekommen.«
    »Abhanden?«, wiederholte ich dümmlich und überlegte, wie einem die Frau
abhanden
kommen konnte. Hatte er sie irgendwo verloren?
    »Sie ist mir abhandengekommen, weil sie mir nicht mehr genügte.« Er legte den Kopf schräg und beobachtete mich genau. Dabei kniff er die Augen zusammen. Einer der Riesenhunde gähnte, streckte den Rücken und stand steifbeinig auf. Nun schlenderte er zu mir, und ich wich erschrocken zurück, bis ich gegen die Wand stieß. Sein Kopf, groß wie von einem Kalb, reichte mir beinahe bis zur Brust. Doch er senkte ihn und steckte seine Schnauze zwischen meine Beine. Ich schrie auf und schob ihn weg, doch er wollte nicht lockerlassen. Lord Eachann lachte dreckig.
    »Ein Rüde! Er riecht deine Jungfrauenmöse.« Nun wurde sein Blick lauernd. »Hast du sie nicht sogar gesehen?«
    »Wen.« Ich wusste nicht, was er meinte.
    »Die Frau, von der ich sprach.«
    »Ich sah nur den abgehackten Kopf eines Weibs, zuletzt auf einem Spieß.«
    Er lehnte sich zurück, lächelte wissend und verschränkte die Arme.
    Erschrocken sog ich die Luft ein. Nun wusste ich es.
Sie ist mir abhandengekommen, weil sie mir nicht mehr genügte.
An welchen Ort war ich geraten? Verstört flackerten meine Augen von den Schießscharten in der Mauer zur Tür. Der Wolfshund, der meinen Schoß beschnuppert hatte, versperrte den Weg dorthin.
    »Aber,

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